Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

Gefangenen entstanden, während daneben zum gleichen Zeit- 
punkte 157 Abtellungen mit 1400 Gefangenen unter mili- 
tärischer Aufsicht arbeiteten. Das Verhältnis hat sich bis 
Juni 1918 bedeutend verschoben, und zwar zugunsten der 
kleinen Abteilungen; am 1. Juni lols gab es deren 
14 474, große dagegen nur 271; insgesamt aber arbeiteten 
rund 21000 Mann in landwirtschaftlichen Betrieben. 
Die Bedingungen, unter denen die Gefangenen jemand 
überlassen wurden, waren folgende: der Arbeitgeber hatte 
auf seine Kosten für die Unterbringung und Verpflegung 
der Gefangenen zu sorgen und zahlte jenen anfangs bis 
zu 10 Pfennig für jede über eine fünfstündige Arbeits- 
dauer hinausliegende Arbeitsstunde, später 30 Pfennig 
täglich, daneben 10 Pfennig täglich an die Heeresverwal- 
tung; diese dagegen übernahm die Kosten der ärztlichen 
Versorgung sowohl der Gefangenen als der Wachtleute und 
zahlte diesen eine tägliche Zulage von 50 Pfennig; dem 
Arbeitgeber aber — seit 19. September 1915 — einen 
Verpflegungszuschuß von 60 Pfennig auf den Tag für 
jeden Gefangenen und jeden Wachtmann, wenn er seinen 
Verpflichtungen wegen Absonderung, Fluchtverhinderung, 
Unterbringung, Verpflegung und Verlohnung gewissenhaft 
nachkam. Die Landwirte genossen so den Vorzug, nicht nur 
äußerst billige Arbeitskräfte beschäftigen, sondern auch noch 
bares Geld ersparen und solches einstecken zu können. Um 
welche Summen es sich dabei allein in Sachsen gehandelt 
hat, mögen Zahlen beweisen: die Heeresverwaltung hat 
bis 31. März 1918 an Zulagen den Wachtleuten gezahlt 
139 478 Mark und an Verpflegungözuschuß den Landwirten 
6201 351,24 Mark. 
Das mag auf den ersten Blick erstaunlich erscheinen, 
erklärt sich aber, wennm man bedenkt, daß die Zahl der in 
der Landwirtschaft beschäftigten Kriegsgefangenen von Jahr 
zu Jahr zugenommen hat; denn es arbeiteten 
Anfang Juli 1015 1200 Gefangene 
1916 8400 „ 
» ,,191718300» 
»191822000» 
Diese angeführten JZahlen würden noch größer sein, wenn 
es möglich gewesen wäre, allen Anträgen der Landwirte auf 
Abgabe von Kriegogefangenen zu entsprechen. Denn da 
die Höchstzahl der Kriegsgefangenen Sachsens zu der Zahl 
seiner Einwohner in einem viel ungünstigeren Verhältnis 
gestanden hat als in den meisten größeren Bundesstaaten, 
andere kriegs= und volkswirtschaftliche Betriebe aber 
in der Versorgung mit Arbeitskräften der gleichen Für- 
sorge bedurften wie die Landwirtschaft, so mußte diese in 
vielen Fällen leer ausgehen oder konnte in Hinsicht auf 
die beantragte Jahl der Gefangenen nicht alle Wünsche 
erfüllt erhalten, auch wenn schon alle minder arbeitsfähigen 
Gefangenen ihr überlassen, und alle, die anfangs mit der 
Umwandlung von Odländereien in fruchtbares Land be- 
schäftigt waren, wie es Ende 1915 und Anfang 1916 be- 
sonders in der Gegend von Bautzen der Fall war, zurück- 
gezogen und ihr zur Verfügung gestellt wurden. 
Wenn auch der Landwirtschaft in der Sicherstellung der 
Ernährung des Volkes wie des Heeres die erste Stelle ge- 
bührt, so wurde sie doch in ihrer Aufgabe wesentlich durch 
die gärtnerischen Betriebe unterstützt, soweit sie Nahrungs- 
mittel erzeugten. Die Anträge dieses Wirtschaftszweiges 
auf Einstellung von Kriegsgefangenen bedurften daher nach 
genauer Prüfung ebenfalls der weitestgehenden Erfüllung. 
Von Ende des Jahres 19175 an überliess man den Gärt- 
nereibetrieben, die ausschließlich oder doch vorzugsweise 
Nahrungsmittel bauten, solche Arbeitskräfte zu den für die 
Landwirtschaft geltenden Bedingungen, ganz gleich, ob die 
Gefangenen ungelernte Leute oder Berufsgärtner waren. 
Durch diese Billigkeit der Arbeitskräfte sollten die gesamten 
Betriebe jeder Art und Gröse angeregt werden, sich mehr 
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und mehr ganz dem Gemüse= und Obstbau zu widmen. 
Das ist auch in vollem Maße erreicht worden. Während 
nämlich anfangs nur die Großbetriebe die Gelegenheit der 
Kriegsgefangenenarbeit benützten, machten bald auch — 
im Laufe der Jahre 1916, 1917 und 1918 — Hunderte 
der kleinen und kleinsten Gärtnereien davon Gebrauch. 
Allerdings brauchten sie seit Mai 1917 nur noch nachweisen 
zu kömen, daß sie wenigstens zu einem großen Teile 
Nahrungemittel erzeugten. 
Auch den Besitzern oder Pächtern von Obstanlagen wurden 
zur Bergung ihrer Ernte ursprünglich zu gewerblichen, später 
zu landwirtschaftlichen Bedingungen Kriegsgefangene über- 
lassen. 
Ebenso stellten solche die Betriebe ein, die aus Boden- 
erzeugnissen erst durch deren Be= und Verarbeitung Nah- 
rungemittel gewannen. Ich erinnere an den Getreide- 
drusch, die Müller= und Bäckereien, ferner an die Kar- 
toffelversorgung der großen Städte, die Zucker= und Marme- 
ladenfabriken, die Strohaufschließungs= und andere Futter- 
mittelbetriebe und endlich an die Heidekrautgewinnung und 
verarbeitung. Überall treffen wir da auf Kriegsgefangenen- 
arbeit. 
Sie hat auch noch in anderer Hinsicht dem Volke- 
wohle gedient. Der allgemeine Mangel an Webstoffen näm- 
lich führte dazu, die Brennessel und den Ginster zu ernten 
und zu verarbeiten; und zu diesem Zwecke wurden dem 
Webwerke F. W. Wilde in Meerane im Frühfahr 1918 und 
Winter 1916/17 fünf verschiedene Kriegsgefangenenarbeits- 
abteilungen mit rund 200 Mann zur Verfügung gestellt, 
ebenso einige der Befehlsstelle des Truppenübungsplates 
Zeithain. 
Eine weitere Zahl von Gefangenen forderten die forst- 
wirtschaftlichen Betriebe an, um die Versorgung des Volkes 
und des Heeres mit Holz durchführen zu können. Schon 
von Ende 1915 an entstanden solche Arbeitsabteilungen zur 
Erledigung aller forstlichen Betriebsarbeiten, wie Hauungs-, 
Wege-, Schädlingsbekämpfungs= und Abfuyrarbeiten. Den 
Arbeitgebern wurden sie zu landwirtschaftlichen Bedingungen 
anfangs ohne, später mit Gewährung des Verpflegungs- 
zuschusses überlassen. Bald rückte in Rücksicht auf den 
Kohlenbergbau, die Betriebssicherheit der Eisenbahnen, die 
Schlagfertigkeit des Heeres und die eigentliche Kriegs- 
rüstungsarbeit die Gewinnung des Gruben-, Schwellen- 
und Brennholzes in den Vordergrund. Die Waldeigentümer 
erhielten für diese Art der Forstarbeit die Kriegsgefangenen 
im allgemeinen zu landwirtschaftlichen, die Händler dagegen 
zu gewerblichen Bedingungen. 
Es arbeiteten so in den sächsischen Forsten: 
Ende 1916 200 Gefangene 
März 1917 320 „ 
März 1918 300 
Unter den Arbeitgebern standen die staatlichen For st- 
betriebe in letzter Zeit voran. 
Auch andere Behörden, Gemeinden, Genossenschaften und 
Vereine haben zunutz des Volkes im allgemeinen Kriegs- 
gefangene beschäftigt und ztvar zur Bewältigung sogenannter 
gemeinnütziger Arbeiten, wie Wegebauten, Flußregelungen, 
Straßenverlegungen, Landverbesserungen, Notstandsaufräu- 
mungsarbeiten usw. Meist handelte es sich dabei um Ar- 
beiten, die während des Krieges entweder überhaupt nicht 
oder nicht in gleichem Umfange ausgeführt worden wären, 
wenn nicht die billigen Kräfte der Kriegsgefangenen zur 
Verfügung gestanden hätten. Darum durften sse auch nur 
mit geringer Anzahl oder gar nicht fortgesetzt werden, wenn 
die Arbeitskräfte anderweit dringend gebraucht wurden, 
z. B. während der Feldbestellung im Frühjahre und Herbste 
und während der Ernte. Neue Arbeiten der genannten Art 
sollten schon Ende lols nicht mehr in Angriff genommen 
werden, weil damals die Gefangenen in der Indugtrie sehr
	        
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