412
Die Leipziger Messen)
Von Siegfried Moltke
Der Weltkrieg liegt hinter uns, freilich leider nur inso-
weit, als er als ein blutiges Ringen, das blutigste der Welt-
geschichte, mit stählernen Waffen aufgetreten ist. Wenn
auch das Ringen mit geistigen und wirtschaftlichen Waffen
auf unabsehbare Zeit noch fortdauern wird, so ist es doch
jetzt schon möglich, sich nach den verschiedensten Richtungen
hin für den mehr als vierjährigen Abschnitt, in dem vor
des Reiches Toren auf den Schlachtfeldern gekämpft wurde,
ein abschließendes Urteil zu bilden. Dazu gehört ein ruhiges
Rückschauen, unbeeinflußt von Schwingungen, in die die
gewaltigen Ereignisse dieser vergangenen Zeit Geist und
Seele versetzten. Da mutet uns so manches doch recht
seltsam an, und man maß sich doch immer und immer
wieder in die Stimmung der einzelnen Epochen zurück-
versetzen bzw. sie in allererster Linie berücksichtigen, will
man als begreiflich und folgerichtig erkennen, was alles —
namentlich bei Ausbruch des Krieges und in seinen ersten
Wochen — geschehen ist. Ein Beispiel:
Wenn man heute der Messen in diesem Kriege und ihrer
gewaltigen Erfolge gedenkt, der großen Leipziger Märkte,
die vor dem August 1014 internationale Völkermärkte
waren, wenn man an den Verlauf der einzelnen Messen
der letzten vier Jahre denkt und an die Entwicklung, die sie
in ihrer Gesamtheit während des Weltkrieges genommen
haben, so will uns fast sonderbar erscheinen das heftige
Für und Wider, das in den stürmischen Augusttagen jene
Kreise erregte, die an den Leipziger Messen das größte
Interesse bis dahin gehabt haben.
Wer sich der Unruhe, ja man kann fast sagen der Kopflosig=
keit, erinnert, die damals weiteste Kreise ergriffen hatte,
der wird jene Stimmen, wenn auch nicht gerechtfertigt
finden, so doch verstehen müssen, die sich laut und energisch
gegen die Abhaltung der Leipziger Messe im Herbste 1914
aussprachen.
Der Verband der Aussteller der Leipziger Engrosmesse
war beim Rat der Stadt Leipzig vorstellig geworden, die
Herbstmesse ausfallen zu lassen, weil sie unter den ein-
getretenen Verhältnissen gegenstandslos geworden sei. Wenn
auch von verschiedenen Seiten hiergegen protestiert wurde,
so erging doch von diesem Verband an die maßgebenden
Stellen, so auch an den Kommandierenden General des
XIX. Armeekorps, zu dessen Bereich Leipzig gehörte, das
Ersuchen, von der Abhaltung der Messe abzusehen, ja man
ging so weit, den General zu bitten, ein Verbot der Messe
zu erlassen. Derartige Stimmen häuften sich. Selbst gegen
die in Leipzig angeregte Verschiebung dieser ersten Kriegs-
messe trat man energisch auf. Besonders Berliner Kreise
zeigten sich als entschiedene Gegner der Abhaltung der
Messe. In Protestversammlungen spielte vor allem die
Frage der Mesmietpreise eine große Rolle, eine Frage, deren
Lösung freilich von großer Bedeutung für die Möglichkeit des
Zustandekommens der Herbstmesse 1914 war. Sie in bester
Weise zu lösen, mußte dem Rate der Stadt und dem Meß-
ausschuß der Handelskammer zu Leipzig besonders warm
am Herzen liegen. Beide boten alles auf, den Meßaus-
stellern hinsichtlich des Mietzinses denkbar weite Vorteile
zu schaffen. Es fanden deöhalb eingehende Verhandlungen
mit den Besitzern von Meßausstellungshäusern statt, und
es gelang, eine große Zahl derselben dafür zu gewinnen,
einen Mietnachlaß von einem Drittel zu gewähren. Die
Art der Gewährung sollte verschieden sein, je nachdem der
Mietzins bereits bezahlt war oder nicht. Soweit er bezahlt
1) Der Originalbeitrag des Verfassers mußte Papiermangels wegen
in letzter Stunde um mehr als die Halfte gekürzt werden.
war, sollte der betreffende Teil eines Drittels auf den
Mietzins für die ÖOstervormesse 1915 verrechnet werden,
d. h. bare Rückzahlungen sollten jedenfalls nicht stattfinden.
Soweit der Mietzins noch nicht bezahlt war, sollte ein An-
spruch auf den Nachlaß dann zugestanden werden, wenn
die 66 /8 % bis zum -. September 1914 bezahlt werden
würden. Man hoffte, daß solches Entgegenkommen, durch
dessen Annahme der Mieter auf Einwendungen gegen die
Mietzinsforderung verzichtete, bei den Meßaussteilern An-
erkennung finden würde. An der Spitze dieser (wohl aller gro-
ßen) Meßhausbesitzer stand natürlich der Rat der Stadt selbst.
Die Besitzer der übrigen Meßhäuser waren in der Haupt-
sache ebenfalls zu einem Entgegenkommen gegenüber ihren
Abmietern geneigt, waren aber doch durch besondere Ver-
hältnisse nicht in der Lage, sich dem gemeinsamen Schritte
ohne weiteres anzuschließen. Schon wenige Tage später
konnte der Rat bekanntgeben, daß er und fast alle übrigen
Vermieter sogar s0 % Mietzinsnachlaß gewähren.
Neben der Frage des Mietzinsnachlasses spielte die Frage
einer zeitlichen Verschiebung dieser ersten Leipziger Kriegs-
messe eine wichtige Rolle. Doch ehe hier dargelegt werden
soll, welche Ansicht die allein maßgebende und beschließende
Stelle über das Abhalten der Messe oder über ihren Ausfall
und über eine etwaige zeitliche Verlegung vertrat, darf
nicht unterlassen werden, noch einige der Meinungen voran-
zuschicken, die außerhalb Leipzigs in Kreisen laut wurden,
die ein Recht hatten, gehört zu werden. Des Verbandes der
Aussteller ist oben bereits gedacht worden. Interessant ist
z. B. auch, welchen Standpunkt eine Versammlung ein-
nahm, die von den Altesten der Kaufmannschaft von Berlin
einberufen worden war.
Die auf dieser Berliner Versammlung erschienenen Messe-
einkäufer äußerten, daß sie kein Interesse an der Abhaltung
der Herbstmesse 1914 hätten. Es sei sicher, daß die meisten
Einkäufer darauf verzichten würden, die Messe zu besuchen
oder besuchen zu lassen. Da die täglichen Einnahmen in
der Lurus-, Galanterie-, Spielwaren= usw. Branche nur
etwa den zehnten Teil der früheren Losung ausmache, suchten
die Detaillisten erst ihre vorrätigen Bestände zu räumen,
bevor sie neue Einkäufe machten. Auch wurde darauf hin-
gewiesen, daß sehr große Warenhäuser keine Einkäufer in
jenem Herbste zur Leipziger Messe schicken würden. Man
beschloß schließlich, an den Rat der Stadt Leipzig, an den
sächsischen Minister des Innern und an die Leipziger Han-
delskammer zu schreiben und energisch die gänzliche Auf-
hebung der Michaelismesse zu fordern. Mit der Ausführung
dieses Beschlusses betraute die Versammlung die Altesten
der Kaufmannschaft von Berlin.
Der Appell an das Generalkommando des XIX. Armee-
korps war nicht ungehört geblieben. Es antwortete. Frei-
lich, es mag sich doch einigermaßen über manches Seltsame
gewundert haben, das da schriftlich bei ihm eingegangen
war, daß man z. B. „aus strategischen Gründen die Auf-
hebung der Messe verfügt wissen wollte“, daß man solchen
Wunsch hege, weil „anläßlich jeder Messe eine, unter den
heutigen Verhältnissen wohl nicht erwünschte, große Masse
von Menschen nicht nur aus allen Teilen Deutschlands,
sondern auch, soweit es die Verkehrsverhältnisse ermög-
lichten, aus dem Auslande in Leipzig sind“. Ferner: Es
könnte eventuell die Gefahr bestehen, daß unkontrollter=
bare, falsche Gerüchte während der Messe aufkommen
und in allen Teilen Deutschlands und des Auslandes
weiterverbreitet werden“. Sehr richtig, wohl auch nach An-
sicht des Generalkommandos, bemerkte hierzu jemand:
„Diese Art eines wirtschaftlichen Kampfes (I) geht zu