Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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Die Leipziger Messen) 
Von Siegfried Moltke 
Der Weltkrieg liegt hinter uns, freilich leider nur inso- 
weit, als er als ein blutiges Ringen, das blutigste der Welt- 
geschichte, mit stählernen Waffen aufgetreten ist. Wenn 
auch das Ringen mit geistigen und wirtschaftlichen Waffen 
auf unabsehbare Zeit noch fortdauern wird, so ist es doch 
jetzt schon möglich, sich nach den verschiedensten Richtungen 
hin für den mehr als vierjährigen Abschnitt, in dem vor 
des Reiches Toren auf den Schlachtfeldern gekämpft wurde, 
ein abschließendes Urteil zu bilden. Dazu gehört ein ruhiges 
Rückschauen, unbeeinflußt von Schwingungen, in die die 
gewaltigen Ereignisse dieser vergangenen Zeit Geist und 
Seele versetzten. Da mutet uns so manches doch recht 
seltsam an, und man maß sich doch immer und immer 
wieder in die Stimmung der einzelnen Epochen zurück- 
versetzen bzw. sie in allererster Linie berücksichtigen, will 
man als begreiflich und folgerichtig erkennen, was alles — 
namentlich bei Ausbruch des Krieges und in seinen ersten 
Wochen — geschehen ist. Ein Beispiel: 
Wenn man heute der Messen in diesem Kriege und ihrer 
gewaltigen Erfolge gedenkt, der großen Leipziger Märkte, 
die vor dem August 1014 internationale Völkermärkte 
waren, wenn man an den Verlauf der einzelnen Messen 
der letzten vier Jahre denkt und an die Entwicklung, die sie 
in ihrer Gesamtheit während des Weltkrieges genommen 
haben, so will uns fast sonderbar erscheinen das heftige 
Für und Wider, das in den stürmischen Augusttagen jene 
Kreise erregte, die an den Leipziger Messen das größte 
Interesse bis dahin gehabt haben. 
Wer sich der Unruhe, ja man kann fast sagen der Kopflosig= 
keit, erinnert, die damals weiteste Kreise ergriffen hatte, 
der wird jene Stimmen, wenn auch nicht gerechtfertigt 
finden, so doch verstehen müssen, die sich laut und energisch 
gegen die Abhaltung der Leipziger Messe im Herbste 1914 
aussprachen. 
Der Verband der Aussteller der Leipziger Engrosmesse 
war beim Rat der Stadt Leipzig vorstellig geworden, die 
Herbstmesse ausfallen zu lassen, weil sie unter den ein- 
getretenen Verhältnissen gegenstandslos geworden sei. Wenn 
auch von verschiedenen Seiten hiergegen protestiert wurde, 
so erging doch von diesem Verband an die maßgebenden 
Stellen, so auch an den Kommandierenden General des 
XIX. Armeekorps, zu dessen Bereich Leipzig gehörte, das 
Ersuchen, von der Abhaltung der Messe abzusehen, ja man 
ging so weit, den General zu bitten, ein Verbot der Messe 
zu erlassen. Derartige Stimmen häuften sich. Selbst gegen 
die in Leipzig angeregte Verschiebung dieser ersten Kriegs- 
messe trat man energisch auf. Besonders Berliner Kreise 
zeigten sich als entschiedene Gegner der Abhaltung der 
Messe. In Protestversammlungen spielte vor allem die 
Frage der Mesmietpreise eine große Rolle, eine Frage, deren 
Lösung freilich von großer Bedeutung für die Möglichkeit des 
Zustandekommens der Herbstmesse 1914 war. Sie in bester 
Weise zu lösen, mußte dem Rate der Stadt und dem Meß- 
ausschuß der Handelskammer zu Leipzig besonders warm 
am Herzen liegen. Beide boten alles auf, den Meßaus- 
stellern hinsichtlich des Mietzinses denkbar weite Vorteile 
zu schaffen. Es fanden deöhalb eingehende Verhandlungen 
mit den Besitzern von Meßausstellungshäusern statt, und 
es gelang, eine große Zahl derselben dafür zu gewinnen, 
einen Mietnachlaß von einem Drittel zu gewähren. Die 
Art der Gewährung sollte verschieden sein, je nachdem der 
Mietzins bereits bezahlt war oder nicht. Soweit er bezahlt 
  
1) Der Originalbeitrag des Verfassers mußte Papiermangels wegen 
in letzter Stunde um mehr als die Halfte gekürzt werden. 
war, sollte der betreffende Teil eines Drittels auf den 
Mietzins für die ÖOstervormesse 1915 verrechnet werden, 
d. h. bare Rückzahlungen sollten jedenfalls nicht stattfinden. 
Soweit der Mietzins noch nicht bezahlt war, sollte ein An- 
spruch auf den Nachlaß dann zugestanden werden, wenn 
die 66 /8 % bis zum -. September 1914 bezahlt werden 
würden. Man hoffte, daß solches Entgegenkommen, durch 
dessen Annahme der Mieter auf Einwendungen gegen die 
Mietzinsforderung verzichtete, bei den Meßaussteilern An- 
erkennung finden würde. An der Spitze dieser (wohl aller gro- 
ßen) Meßhausbesitzer stand natürlich der Rat der Stadt selbst. 
Die Besitzer der übrigen Meßhäuser waren in der Haupt- 
sache ebenfalls zu einem Entgegenkommen gegenüber ihren 
Abmietern geneigt, waren aber doch durch besondere Ver- 
hältnisse nicht in der Lage, sich dem gemeinsamen Schritte 
ohne weiteres anzuschließen. Schon wenige Tage später 
konnte der Rat bekanntgeben, daß er und fast alle übrigen 
Vermieter sogar s0 % Mietzinsnachlaß gewähren. 
Neben der Frage des Mietzinsnachlasses spielte die Frage 
einer zeitlichen Verschiebung dieser ersten Leipziger Kriegs- 
messe eine wichtige Rolle. Doch ehe hier dargelegt werden 
soll, welche Ansicht die allein maßgebende und beschließende 
Stelle über das Abhalten der Messe oder über ihren Ausfall 
und über eine etwaige zeitliche Verlegung vertrat, darf 
nicht unterlassen werden, noch einige der Meinungen voran- 
zuschicken, die außerhalb Leipzigs in Kreisen laut wurden, 
die ein Recht hatten, gehört zu werden. Des Verbandes der 
Aussteller ist oben bereits gedacht worden. Interessant ist 
z. B. auch, welchen Standpunkt eine Versammlung ein- 
nahm, die von den Altesten der Kaufmannschaft von Berlin 
einberufen worden war. 
Die auf dieser Berliner Versammlung erschienenen Messe- 
einkäufer äußerten, daß sie kein Interesse an der Abhaltung 
der Herbstmesse 1914 hätten. Es sei sicher, daß die meisten 
Einkäufer darauf verzichten würden, die Messe zu besuchen 
oder besuchen zu lassen. Da die täglichen Einnahmen in 
der Lurus-, Galanterie-, Spielwaren= usw. Branche nur 
etwa den zehnten Teil der früheren Losung ausmache, suchten 
die Detaillisten erst ihre vorrätigen Bestände zu räumen, 
bevor sie neue Einkäufe machten. Auch wurde darauf hin- 
gewiesen, daß sehr große Warenhäuser keine Einkäufer in 
jenem Herbste zur Leipziger Messe schicken würden. Man 
beschloß schließlich, an den Rat der Stadt Leipzig, an den 
sächsischen Minister des Innern und an die Leipziger Han- 
delskammer zu schreiben und energisch die gänzliche Auf- 
hebung der Michaelismesse zu fordern. Mit der Ausführung 
dieses Beschlusses betraute die Versammlung die Altesten 
der Kaufmannschaft von Berlin. 
Der Appell an das Generalkommando des XIX. Armee- 
korps war nicht ungehört geblieben. Es antwortete. Frei- 
lich, es mag sich doch einigermaßen über manches Seltsame 
gewundert haben, das da schriftlich bei ihm eingegangen 
war, daß man z. B. „aus strategischen Gründen die Auf- 
hebung der Messe verfügt wissen wollte“, daß man solchen 
Wunsch hege, weil „anläßlich jeder Messe eine, unter den 
heutigen Verhältnissen wohl nicht erwünschte, große Masse 
von Menschen nicht nur aus allen Teilen Deutschlands, 
sondern auch, soweit es die Verkehrsverhältnisse ermög- 
lichten, aus dem Auslande in Leipzig sind“. Ferner: Es 
könnte eventuell die Gefahr bestehen, daß unkontrollter= 
bare, falsche Gerüchte während der Messe aufkommen 
und in allen Teilen Deutschlands und des Auslandes 
weiterverbreitet werden“. Sehr richtig, wohl auch nach An- 
sicht des Generalkommandos, bemerkte hierzu jemand: 
„Diese Art eines wirtschaftlichen Kampfes (I) geht zu
	        
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