Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

zum Zwecke des Erwerbs von Waren bis zum Gesamt- 
betrage von 18000 Mark für jede Messe einzugehen. Die 
Einwilligung wurde aber nur für den einzelnen Geschäfts- 
abschluß ausgesprochen. Der Reichskommissar für Ein- 
und Auefuhrbewilligung hatte für die Waren, welche auf 
Grund derartiger Einkaufsgenehmigungen während der 
Mustermesse gekauft wurden, grundsätzlich die Erteilung 
von Einfuhrbewilligungen in Aussicht gestellt, sich aber 
die Prüfung der Anträge von Fall zu Fall vorbehalten. 
Aus der Fülle sonstiger Erleichterungen, die — auch 
nach und nach — den Meßbesuchern zuteil wurden, seien 
folgende erwähnt: 
Abgesehen von den Fahrpreisermäßigungen hatten die 
Eisenbahnverwaltungen durch Einlage von Meßson- 
derzügen, direkten Personenwagen und Ver- 
stärkung der Züge dafür gesorgt, daß der Meßverkehr 
von den Bahnen auch bei stärkstem Andrang anstandslos 
bewältigt wurde, ein Entgegenkommen, daß in jenen ver- 
kehrsschwierigen Zeiten nur dankbarst begrüßt werden mußte. 
Daß zur Erleichterung der Fahrkartenausgabe das Meßamt 
sehr bald eine Filiale des Mitteleuropäischen Reisebureaus 
übernommen hatte, war nicht minder bedeutungsvoll, zu- 
mal die ermäßigten Fahrkarten für die Rückreise ab Leipzig 
nur in Leipzig selbst gelöst werden konnten. 6 
Die Frage der Unterkunft der Meßfremden während der 
Kriegsmesse spielte bei ihrem immer mehr und mehr an- 
wachsenden, ungeheuren Andrang eine große Rolle und für 
den Meßausschuß bzw. für das Meßamt eine große Sorge. 
Neben den Hotels und Fremdenheimen mußte eine gewaltige 
Zahl von Zimmern in Bürgerwohnungen zur Verfügung 
gestellt werden, die vom Wohnungsnachweis des 
Meßausschusses und Meßamtes erst besichtigt 
wurden, ehe sie zur Vermietung vorgemerkt wurden; un- 
geeignete Räume wurden hierbei von vornherein zurück- 
gewiesen. Gewiß eine aufopferungsvolle, man kann getroft 
sagen liebevolle Fürsorge. Dabei wurde dafür gesorgt, daß 
keine Überforderungen stattfinden bonnten, die Preise sich 
vielmehr überall in mäßigen Grenzen bewegten. Sogar 
auf dem Hauptbahnhof wurden während der Messe Woh- 
nungsnachweise vom ersten Morgenzuge bis zum letzten 
Nachtzuge ununterbrochen geöffnet gehalten und selbst für 
Begleitung der mit der Stadt nicht vertrauten Meßfremden 
in ihre Wohnung, meist durch zuverlässige Schüler, war 
Sorge getragen worden. » 
Um wohnen zu können, muß der Mensch leben, um 
leben zu können, nicht nur schlafen, sondern auch essen und 
trinken. So mußte der guten alten Meßstadt Leipzig denn 
vor allem auch an einer Verpflegung ihrer Meß- 
gäste gelegen sein, die ihnen nicht nur für die Oauer ihres 
Meßaufenthaltes volle Befriedigung gewährte, sondern auch 
verhütete, daß sie vor einer Wiederkehr zur nächsten Messe 
abgeschreckt wurden. Wenn nun auch die Neichsfleischkarte 
und die Reichsbrotmarke nicht daheimbleiben durften, so 
hat Leipzig doch zu den zeitweise lauch zur Meßwoche) 
recht, recht schweren Zeiten der Nahrungsmittelknapp- 
heit für die Meßfremden in einer Weise gesorgt, die 
diese und selbst, ja mitunter vor allem die Leipziger 
Bürgerschaft zu dem erstaunten Ausrufe nötigte: Wie ist 
das möglich, wie konnte das möglich gemacht werden! 
Zu den wichtigsten Vorteilen und Bequemlichkeiten der 
Meßbesucher und insbesondere der Aussteller gehören natür- 
lich die Mustermeßgebäude. Das amtliche Verzeichnis 
zählt gegenwärtig nicht weniger als 38. Hier interessieren 
natürlich nur die, die im Krieg der letzten fünf Jahre 
entstanden. Auch die Ausstellungshalle „Markt“, deren 
Besitzer das Meßamt für die Mustermessen ist, gehört zu 
ihnen, denn ihr Bau wurde beschlossen, die Ausarbeitung 
ihrer Pläne vollzogen, als der Krieg noch tobte. Daß sie 
erst nach dem plötzlichen Waffenstillstand praktisch in Be- 
Sachsen In großer Zeit. Band III 
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trieb genommen worden ist, nimmt ihr nicht den Charakter 
eines Kriegskindes. Die Ausstellungshalle, die im Mittel- 
punkt des gesamten Meßverkehres fast die ganze Fläche 
des alten historischen Leipziger Marktplatzes einnimmt und 
von Messe zu Messe immer wieder neu aufgestellt wird, 
bedeckt einen Flächenraum von 2800 Quadratmeter. Ge- 
schosse hat sie nicht, ihre Näume liegen durchweg (um einige 
Stufen über dem Marktpflaster) im Erdgeschoß. Die innere 
Anlage entspricht im allgemeinen der Einrichtung der 
neuesten Meßpaläste. 
Auch das Meßhaus „Bugra-Messe“ in der Peters- 
straße 38 ist ein Kriegskind, wenn es auch, wie die „Markt“= 
Halle, erst nach dem Waffenstillstand fertig und in Be- 
nutzung genommen wurde. Insgesamt sind 1757 Quadrat- 
meter nutzbare Ausstellungsfläche vorhanden in insgesamt 94 
geschlossenen Ausstellungsräumen und 316 laufende Meter. 
Zur besonderen Bequemlichkeit sind Schreib= und Lesezimmer 
vorhanden. Dieses Meßhaus, sein Name sagt es schan, dient 
vornehmlich der Kollektiomeßausstellung buchgewerblich- 
graphischer Arbeiten von Büchern, Materialien und Ma- 
schinen für das Buchgewerbe usw. 
Ein ganz und gar echtes Kriegskind, d. h. nicht nur im 
Krieg erbaut, sondern auch noch im Krieg in Meßbetrieb 
genommen, ist das Meßhaus „Drei Könige“ in der Peters- 
straße 32/34. Es erstand von Grund aus neu während 
der Jahre 1915 und 1916. Seine Erbauer sind die Archi- 
tekten Joh. Gust. Pflaume und H. Stöcklein. Die Schau- 
seite nach der Petersstraße bietet in grünem Edelputz mit 
Skulpturen des Münchener Bildhauers Professor Georg 
Albertshofer einen wohlgefälligen Anblick. 112 gut be- 
lichtete, geschlossene Ausstellungsräume bedecken in allen vier 
Heweschaffe gegen 2400 Quadratmeter nutzbare Boden= 
äche. 
Endlich, ebenfalls ein echtes Kriegskind, der schon einmal 
erwähnte Meßpalast „Stentzlers Hof“ an der Ecke der 
Petersstraße und des Peterskirchhofs. Wer vom Königs- 
platz aus auf die innere Stadt nach der Deutschen Bank 
und nach der Reichsbank zugeht, dem tritt in malerisch wirk- 
samster Weise der prächtige Giebelbau entgegen. Die ganze 
stattliche Schauseite mit ihrem reichen figürlichen Schmuck 
zeigt, daß der Erbauer Architekt Leopold Stentzler nicht 
nur ein Nutzhaus, sondern auch einen künstlerisch schönen 
Bau hat aufführen wollen. Ein Stück altes Leipziger Patri- 
ziertum entzückt hier das Auge des Meßfremden. Und stolz 
verkündet der Giebel in goldenen Lettern, daß dieses Haus 
in den Kriegsjahren 1914—1915 erstanden ist. In Eisen- 
beton ist der Riese errichtet, eine reizvolle Hofanlage mit 
altem, wieder angetragenen Erker und beiderseitigem Zugang 
ist ein besonderer Schmuck. Alle technischen Errungenschaften 
der Zeit fanden Verwendung, allen Bedürfnissen der Aussteller 
und ihrer Kundschaft ist vollauf Rechnung getragen worden. 
Über loo geschlossene, gut belichtete Ausstellungsräume und 
500 Stände in geschlossenem Rundgang im 1. Unter- 
geschoß, Erdgeschoß und im 1. bis s. Obergeschoß fanden 
auf einer nutzbaren Bodenfläche von rund 3000 Quadrat- 
meter Unterkunft. Bemerkenswert ist der große Aus- 
stellungssaal im Erdgeschoß. Dieser Palast dient der Papier= 
messe, einer Ausstellung der gesamten papierverarbeitenden 
Industrie. 
Was in den einzelnen vorkriegszeitlichen Meßhäusern ge- 
schehen ist, während der großen Zeit gewandelt wurde, um 
den stets steigenden Anforderungen gerecht zu werden, oft 
mit großen Opfern geschaffen, das alles hier aufzuzählen, 
ist unmöglich. Aber alle diese Neuschöpfungen, die einen echt 
deutschen Wagemut und echt deutschen, hoffnungsfreudigen 
und weitblickenden kaufmännischen Sinn bezeugen, alle 
Kleinarbeit in zweckenentsprechender Umwandlung des schon 
Bestehenden zeigt klar, daß man nicht nur in Leipzig, der 
Meßstadt, sondern im ganzen Reiche auf die schier un- 
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