Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

418 
bezwingbare Kraft deutschen Wirtschaftslebens schwor. 
Neue Meßpaläste in Leipzig! Die Feinde staunten und 
wollten es schier nicht glauben. Sie standen doch rings 
um das Deutsche Reich und schnürten es ab von aller 
Welt! Gab es denn keine englische Blockade? Wo blieb 
die Weisheit der englischen Hetzagenten, die in Amerika 
und sicher auch in anderen neutralen und feindlichen Ländern 
gegen den Besuch der Leipziger Messen so eindringlich ge- 
predigt hatten. 2 
Man schritt auf die vierte Kriegsmesse zu. Die dritte 
war kaum geschlossen, da begann auch schon wieder das 
rastlose Vorarbeiten für die nächste. Als besonders wesent- 
licheo Moment in dieser Vorbereitungszeit ist hervorzuheben, 
daß (wohl zum ersten Male) darauf bingewiesen wurde, 
daß die Leipziger Messen bei weitem nicht nur eine Leipziger 
Angelegenheit sind, sondern ein Wertfaktor im deutschen 
Wrrtschaftsleben, der letzten Endes die finanzielle Unter- 
stützung des Reiches zu fordern sehr wohl berechtigt ist. 
Ee handelte sich wieder um die Mietpreisermäßigung. 
Man hatte wiederum um sie gebeten, aber der Verband der 
Meßhausbesitzer hatte sie mit der Begründung zunächst ab- 
gelehnt, daß bereits bei Gewährung des zur Frühjahrsmesse 
nachgesuchten Nachlasses von 30 00 betont worden sei, daß 
ein nochmaliger Nachlaß ausgeschlossen sei. Da wurde 
die Frage aufgeworfen, ob vielleicht der sächsische Staat oder 
das Reich sich zur Unterstützung der Leipziger Messe, wenig- 
stens in Kriegszeiten, entschließen können. Man sagte: Die 
Leipziger Messe ist weit über den Kreis lokaler oder sächsi- 
scher Interessen hinausgetwachsen und verkörpert, abgesehen 
von der Schwerindustrie, so ziemlich alle Zweige deutschen 
gewerblichen und kunstgewerblichen Schaffens. Wenn man 
sieht, daß die für Frankreich geplante Messe große Staats- 
unterstützung genießt und daß die englische Regierung der 
Londoner Messe zwei Millionen Mark allein für Werbe- 
kosten zur Verfügung gestellt hat, so ist der Wunsch, daß 
der Staat oder das Reich der Leipziger Messe hinreichende 
Mittel zur wirtschaftlichen Kriegsführung bewilligen, im 
Interesse der deutschen Industrie durchaus berechtigt. 
Wieder war es also die Mietzinsfrage, die der Abhaltung 
der nunmehr vierten Kriegsmesse im Herbste lols hinder- 
lich zu werden drohte, denn beide Parteien, Meßbhausbesitzer 
(natürlich mit Ausnahme des Rates) und Ausstellerverbände 
wurden sehr zähe in der Verteidigung ihrer entgegen- 
stehenden Ansichten und in der Befolgung ihres Willens. 
Jene begründeten die Ablehnung der Naßlaßgewährung 
damit, daß sie ohnehin einen größeren Rückgang an Ein- 
nahmen befürchten müßten, weil eine Anzahl gerade ab- 
laufender Mietverträge vorläufig nicht erneuert würden, und 
betonten, daß sie, um diese und die sonstigen zu erwartenden 
Ausfälle auszugleichen, an der vollen Bezahlung des Miet- 
zinses, insoweit als die Verträge noch liefen, festhalten 
müßten. Bei dieser Entschließung blieben die Meßvermieter 
auch gegenüber dem Anerbieten der sächsischen Staatsregie- 
rung, der Gesamtheit der Mehvermieter ein zinsloses, vom 
1. August 1917 rückzahlbares Darlehen zu gewähren, denn sie 
erblickten darin keine hinreichende Entlastung, um ein Opfer 
von 25 00 Nachlaß auf sich nehmen zu können. Der Rat 
und die Stadtverordneten hatten bereits wieder 95 Ooo Mark 
(wie früber) Berechnungegeld bewilligt in der Voraussicht, 
daß wieder allgemein nur 50 % der Mieten gefordert werden 
würden. Nur unter dieser Voraussetzung wollten die in 
der Zentralstelle für Interessenten der Leipziger Musterlager= 
messe vereinigten Verbände für den Besuch der Herbstmesse 
lols eintreten. Nunmehr gaben diese Verbände die An- 
regung, jene 95 000 Mark den nicht in den städtischen 
Meßhäusern aussiellenden Firmen, dafern sie mit Schwierig- 
keiten zu kämpfen haben und trotzdem zur Messe kommen 
wollten, in Gestalt einer nach gleichen Prozentsätzen des 
Michaelismietzinses zu bemessenden Mietzinsbeihilfe zugute 
kommen zu lassen, die mindestens aber 12 ½/2.0% betragen 
werde. Die Mieter in den städtischen Meßpalästen (Kauf- 
haus und Handelshof) kamen nicht in Betracht, da der 
Nat nur 30 % forderte. Rat und Stadtverordnete be- 
schlossen im Sinne dieser Anregung. 
Gerade für diese Herbstmesse war manche der oben ge- 
schilderten Vergünstigungen, namentlich die Eisenbahnfahr= 
preigermäßigung, erstmalig in Kraft getreten. Verbunden 
mit der damaligen, immer mehr wachsenden Siegeszuversicht 
unseres Volkes, die eine wieder größere und ebenfalls zu- 
nehmende Unternehmungolust im geschäftlichen Leben be- 
gleitete, taten alle den Meßinteressenten gewährten Vor- 
teile ihre volle Schuldigkeit. Der Meßverkehr dieser Kriegs- 
messe unterschied sich wenig von dem der Herbst-Friedens- 
messen, trotzdem doch einige Geschäftszweige am Erscheinen 
durch die mittlerweile begonnenen Beschlagnahmen der Roh- 
materialien verhindert waren, die eine industrielle Betäti- 
gung, sei es teilweise, sei es vollständig, unmöglich 
machten. Das galt (mit Ausnahme von Nickel und Silber) 
von Metallwaren und von Leder= und Gummiwaren. Wer 
aber noch Vorrat an solchen Waren hatte, war dennoch ge- 
kommen und nicht zu seinem Schaden. Das Gesamtmeß- 
bild bot das Gepräge der vorangegangenen Frühjahremesse, 
ja meist in seiner äußeren Reklameaufmachung, in seiner 
dußeren Buntheit und Lebhaftigkeit die Ostermesse noch 
überbietend. Unter den Fremden konnte man auch wieder 
Vertreter der Balkanstaaten treffen, auch Polen, z. B. War- 
schauer, hatten sich eingefunden, wenigstens im Warenbezug 
über Schweden, weil der unmittelbare Verkehr noch nicht 
freigegeben war. Auch Brüssel hatte Einkäufer nach Leipzig 
entsendet, und als besondere Erscheinung dieser Messe galt 
es, daß die der Kriegsgrenze nahe gelegenen Städte ver- 
bälntismäßig umfangreiche Einkäufe bewirkten. 
Ein wichtiges Ereignis für die Messen als solche war 
die immer festere Form, die der Gedanke annahm, die 
Messen von Reichs wegen zu fördern. Da tauchte zum 
ersten Male das Wort „Meßamt“ auf. In der Haupt- 
versammlung der schon häufig hier erwähnten „Zentral= 
stelle“ hatte deren Vorsitzender, Kommerzienrat Nosenthal, 
bemerkt, daß die Leipziger Messen die dauernde Unter- 
stützung des Reiches erheischen und daß dahingehende Be- 
strebungen eingeleitet werden sollen. Eine völlige Neu- 
organisation der Leipziger Mustermessen müsse geschaffen 
werden und man dachte hierbei an die Errichtung eines 
Meßamtes, einer beamteten Körperschaft, in der nicht 
nur die Fäden des Meßmusterlagerverkehrs zusammenlaufen 
sollten, sondern die auch die organisatorischen Arbeiten usw. 
zu erledigen haben würde. Den Entwicklungsgang von der 
Aussaat des befruchtenden Gedankens bis zu seiner Reifung 
zum lebendigen „Meßamt“ hier ausführlich zu schildern, 
würde für sich einen ganzen Aufsatz dieses Werkes be- 
anspruchen. Nur soviel sei gesagt: Von der Schaffung eines 
„Reichs meßamtes“ sahen die Väter des Gedankens bald 
ab, wohl vor allem aus der sehr richtigen Erbenntnis heraus, 
daß hier ein neues Amt, d. h. keine neue Reichs behörde 
geschaffen werden dürfe, die etwa mit gebundener Marsch- 
route ohne jede (kaufmännische) Bewegungefreiheit hätte 
marschieren müssen — also Zopf und grüner Tisch! Eine 
freie Körperschaft sollte und mußte wirken! 
Man muß wohl die Geburtsstunde dieses Meßkriegkindes, 
das gleich vom ersten Lebenszeichen an so bedeutungsvoll 
wurde und noch während des Krieges eine für die Leipziger 
Musterlagermessen so gewaltige Kraft entfaltete, auf den 
9. Februar 1916 verlegen. An diesem Tage stimmten in 
nichtöffentlicher Sitzung die Leipziger Stadtverordneten den 
Beschlüssen des Nates zur in Gemeinschaft mit der Handels- 
kammer und der Zentralstelle für Interessenten der Leipziger 
Musterlagermessen zur Förderung dieser Messen den Verein 
„Meßamt für die Musterlagermessen in Leipzig“ zu bilden.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.