Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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lich aus. Besonders kam das in der Porzellan= und in der 
keramischen Branche zum Ausdruck. Die feinsten Porzellane 
mit Kunstmalereien waren so stark gekauft worden, daß 
selbst die Fabrikanten überrascht waren. Ebenso stand es 
mit den kunstgewerblichen Erzeugnissen der Keramik. Auch 
teure Lederwaren wurden lebhaft gefragt. Daneben wurde 
aber das Geschäft in den mittleren und billigeren Artikeln 
durchaus nicht vernachlässigt. Besonders bemerkenswert 
war, daß sich die damals drohenden Valutaschwierigkeiten 
sehr bald behoben hatten. Die ausländischen Einkäufer 
hatten sich denn auch nach kurzem Zögern sehr schnell dazu 
bereit gefunden, die verlangten höheren Preise zu bezahlen. 
Und das Ausland? " 
Hier eine Schweizer Stinine. Die „Neue Züricher Zei- 
tung“ hatte bis dahin wenig Veranlassung genommen, 
deutsches Tun oder gar deutsche Erfolge mit wohlwollender 
Anerkennung bekanntzugeben. Nun aber mußte selbst sie 
von dieser Zurückhaltung absehen und gewissermaßen einem 
zwingenden Drange folgen, der von unseren Messen aus- 
ging. Sie schrieb nach Abschluß der Frühjahrsmesse: 
„Jedenfalls hat Leipzig mit der heurigen Messe Ehre 
eingelegt und das gesamte Deutsche Reich mit ihr erwiesen, 
daß es noch lange nicht am Ende seiner Kraft angelangt 
ist. Ein Staat, der so intensiv arbeitet, kann wirtschaftlich 
nicht zugrunde gerichtet werden ... Wer in deutschen Zei- 
tungen Berichte über den starken Besuch der Leipziger Messe 
liest, ist vielleicht geneigt, diese Berichte so zu beurteilen, 
als ob ein Vergrößerungsglas dabei mitgespielt habe. Als 
Schweizer Meßbesucher kann ich aber mitteilen, daß die deut- 
schen Berichte weder übertrieben, noch beschönigend sind, 
sondern nur den Tatsachen entsprechen... Daß die Leip- 
ziger Messe auch im Kriege ein Bedürfnis ist, beweist die 
diesjährige ÖOstermesse. 
Das Jahr lol# brachte den Meßinteressenten einige jener 
Vergünstigungen, der oben gedacht worden ist. Im Verein 
mit dem guten Ruf, der über die Kriegsmessen in alle Welt 
gedrungen war, vermochten sie nur aufs neue belebend zu 
wirken. In Leipzig selbst nahm man jetzt schon jeden Zu- 
wachs als etwas nur Selbstverständliches hin, etwa wie 
Eltern die dauernd vorzüglich bleibenden guten Zensuren 
Fleißiger, begabter Kinder. Man wunderte sich gar nicht 
mehr, daß schon vor Beginn der Herbstmesse 1916 be- 
richtet wurde, der Besuch werde abermals gesteigert sein. 
In der Tat war dann auch ein verhältnismäßig großer 
Zuwachs zu verzeichnen, der um so bedeutungsvoller war, 
weil er eine Herbstmesse betraf, die niemals so stark, 
auch nicht im Frieden, besucht zu sein pflegten wie die 
Ostervormessen. Das Meßadreßbuch wies rund 2600 Aus- 
stellerfirmen auf gegen 2438 auf der letzten Östermesse. 
Die Straßen der inneren Stadt zeigten ihr altes farben- 
fröhliches und buntsprachiges Gepräge der Friedensmessen 
Und präsentierten sich doppelt stimmungsvoll, weil noch 
viele Fahnen und Wimpel wehten, die Leipzigs Bürgerschaft 
zu Ehren der glücklich gelungenen und ruhmvollen Amerika- 
fahrt des ersten Handelstauchbootes, der „Deutschland“, 
aufgezogen hatten. 
Diese — die Neujahrsmessen mitgezählt — siebente 
Kriegomesse brachte eine, man bann sagen: sensationelle 
Neuheit mit, nämlich eine „Nahrungsmittelmesse“. Den 
„Trumpf“ der Messe hat man sie genannt. Welche Bedeu- 
tung dem jungen Unternehmen im wahrhaften Sinne des 
Wortes von seinem ersten Lebenstage an beizumessen war, 
bewies der geradezu ungeheure Andrang, der auf dieser 
Nahrungsmittelmesse im Meßpalast „Jeißighaus“, Neu- 
markt 18, am Eröffnungstage herrschte. Ja, schon am 
Tage vorher, während des Auspackens und Aufbauens der 
Muster, kamen die Einkäufer und gaben Aufträge im Werte 
von Hunderttausenden. Besonders die Vertreter von Stadt- 
vertwaltungen betätigten sich in eifrigster Weise, eine im 
Osten liegende Provinzialstadt hatte gleich am ersten Tage 
allein bei einer Firma Suppenwürfel für 70000 Mark 
bestellt. 
Die mittlerweile doch recht dringlich gewordene Er- 
nährungsfrage hat gewiß ganz besonders dahin gewirkt, daß 
dieser neue Zweig der Leipziger Mustermessen sehr lebens- 
kräftig und blühend werden mußte, aber gewisse Momente 
sprachen doch von Anfang an dafür, daß die Nahrungs- 
mitellmesse eine den Krieg überlebende, dauernde und er- 
folgreiche Einrichtung bleiben wird. Sie hat sich auch 
im Laufe dreier Jahre aufs beste entwickelt. Heute genügt 
das Zeißighaus ihr längst nicht mehr, sie hat auch vom 
„Goldenen Hirsch“ in der Petersstraße 37 und von „Hoh- 
manns Hof“ auf dem Neumarkt 16 Besitz ergriffen. 
Die sonstige Musterlagermesse des Herbstes bewegte sich 
im allgemeinen in den Bahnen der letzten Vorgängerinnen. 
Die Zahl der Aufträge stieg fast ins Riesenhafte wieder, 
und man sah unter den Ausstellern keine unzufriedenen 
Gesichter. Wenn sie hier und da Sorge verrieten, so war 
allein das Rätsel daran schuld: Wie sollte diese Menge von 
Bestellungen ausgeführt werden? Manche Aussteller, die 
sonst regelmäßig gekommen waren, wurden vermißt, dafür 
waren zwei neue für je einen alten gekommen, und daß der 
alte fehlte, hatte seinen guten Grund: Er hatte Kriegs- 
lieferungen und konnte Friedensaufträge nicht mehr über- 
nehmen. Das galt z. B. von gewissen Zweigen der Musik- 
instrumentenindustrie. Am meisten waren wohl auf dieser 
Messe Gegenstände für den täglichen Gebrauch gefragt 
worden. Preise, und wenn sie noch so hoch waren, spielten 
auch auf dieser Kriegsmesse so gut wie gar keine Nolle. 
Kurz nach dieser Herbstmesse, am 4. November 1916, 
wurde im Deutschen Neichstag die wichtige Frage erörtert, ob 
die Leipziger Messe von Reichs wegen finanziell unterstützt 
werden soll oder nicht. Diese Verhandlung ist für die 
Geschichte der Leipziger Messen kaum weniger bedeutungs- 
voll, als das berühmte Leipziger Meßprivilegium Kaiser 
Maximilians vom Jahre 1107. Und für die Geschichte 
Sachsens, Leipzigs und seiner Messen in der großen geit 
im besonderen ist diese Begebenheit gleich gar so wichtig, 
daß sie an dieser Stelle nicht übergangen werden darf. 
Nach längeren Verhandlungen sowohl in der dafür ein- 
gesetzten Kommission als auch im Plenum wurde der An- 
trag auf „angemessene Beihilfe“ durch Mehrheitsbeschluß 
angenommen. Ee ist nicht uninteressant, angesichts der For- 
derung, nähere Zahlenangaben dem Reichstag zu geben, zu 
erfahren, daß man das in den Leipziger Meßhäusern ruhende 
Kapital auf rund 70 Millionen Mark und den Jahres- 
umsatz der Leipziger Messe auf rund 600 Millionen Mark, 
also auf beträchtlich mehr als eine halbe Milliarde, schätzte. 
Der Reichstagsetat für 1917 sah dann den Beitrag des 
Reiches in Höhe von 700 000 Mark zur Gründung eines 
Meßamtes für die Mustermesse in Leipzig vor, ein schöner 
Eingruß für die neunte Kriegsmesse, die Ostervormesse 19171! 
Im März, bei Beginn dieser Messe, stimmte die Budget- 
kommission des Reichstages dieser Position einstimmig zu, 
und schließlich fand diese Beihilfe auch die Genehmigung 
des Reichstagsplenums. 
Im Sachsischen Landtag trat der Staatominister von 
Seydewitz sehr warm für die Bewilligung eines sächsischen 
Staatszuschusses für das neue Meßamt ein. „Wenn ein 
solcher erbeten wird, so bin ich überzeugt, daß Sie in Würdi- 
gung der hohen vaterländischen und volkswirtschaftlichen 
Bedeutung der Leipziger Mustermessen hierzu gern Ihre 
Justimmung geben werden.“ Der Abgeordnete Dr. Hähnel 
hielt es für „dringend notwendig, daß alles, was nur ge- 
schehen kann, für die Erhaltung der Leipziger Messen ge- 
schieht“, und begrüßte es, „daß in dieser Weise nicht nur 
von den Leipziger Interessentenkreisen, sondern auch von 
der Königlichen Staatsregierung voll und ganz dafür ein-
	        
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