Full text: Das Regenbogen-Buch - Die europäischen Kriegsverhandlungen.

318 1. August 
  
  
  
Fortsetzung der Anmerkung Bib. Nr. 123.') 
reissen musste, ja gerade auf die «neue Entwicklung», d. h. die Ver- 
letzung der belgischen Neutralität durch Deutschland. Nun spielte 
Deutschland ihm den schlechten Streich und war zu allen Zugeständ- 
nissen bereit. Da Grep trotzdem aber den Krieg wollte und zum 
Kriege der Verletzung der belgischen Neutralität bedurfte, lehnte er 
schroff jedes Neutralitätsversprechen ab, in der Gewissheit, dass 
Deutschland nun, da es unbedingt auf Englands Teilnahme am Kriege 
zählen musste, auch nicht mehr die belgische Neutralität respek- 
tieren würde. Dieser Verletzung der belgischen Neutralität durch 
Deutschland, deren Voraussetzung aber erst die Weigerung Englands 
war, neutral zu bleiben, bediente sich Grep nichtsdestoweniger, um 
England zum Kriege hinzureissen. Das war aber nur möglich, 
wenn er dem Parlament und der englischen Öffentlichen Meinung die 
bedeutsame Unterredung, Bib. 123, verschwieg. Das geschah denn 
auch: Weder das offizielle Expos& des Bib. noch die Parlamentsreden 
vom 3. und 6. August erwähnen das deutsche Angebot, so dass das 
englische Volk tatsächlich glaubte, es kämpfe für die belgische Neu- 
tralität, während in Wahrheit Grey diese Neutralität ohne weiteres 
schützen konnte, wenn er selbst nur neutral blieb. Das englische Ministe- 
rium des Aeusseren versuchte später diese Vertuschungsmethode zu 
beschönigen. Als Erwiderung auf eine Unterredung, die der englische 
Unterstaatssekretär Acland einem dänischen Journalisten gewährte, in 
der wiederum das moralische Motiv, der Schutz Belgiens, betont 
wurde, wies der deutsche Staatssekretär von Jagow in einer Unter- 
redung mit einem andern dänischen Journalisten (veröffentlicht in der 
Kopenhagener «Nationaltidende» vom 1. Oktober 1914), u. a. auf 
das Stück 123 des Bib. hin. Darauf liess Acland durch das Reuter- 
sche Bureau eine Erwiderung verbreiten, in der es u. a. heisst: 
« Jagow erklärte ferner, dass Grep am 1. August dem deutschen 
Botschafter gegenüner abgelehnt habe, die Neutralität Englands zu 
versprechen, falls Deutschland die Neutralität Belgiens zusichere. 
Diese Anregung ging nicht von der deutschen Regierung aus. Es ge- 
nüge, an die Rede Greps im Unterhause zu erinnern, worin er sagte: 
«Ich wünsche ein Wort hinzufügen über persönliche Anregungen, 
die der Botschafter unabhängig von Mitteilungen seiner Regierung 
machte. Der Botschafter wirkte für den Frieden, aber er, wie andere 
gleich ihm, besass keine wirkliche Autorität in Berlin. Das ist eine 
Erklärung für die Erfolglosigkeit unserer Bemühungen für den Frieden.» 
Darauf entgegnete die<«Nordd. Allg. Ztg. > am 6. Oktober 1914 u. a.: 
«Die Frage des Botschafters Fürsten Lichnowskp an Grey, ob 
dieser die Neutralität Englands versprechen könne, falls Deutschland 
die Neutralität Belgiens zusichere, war eine dienstliche Frage. Die 
deutschen Botschafter sind in solchen Fällen das Sprachrohr ihrer 
Regierung. Glaubte Grey, dass der Botschafter diese Frage nur für 
seine Person stelle, so war es für den britischen Staatssekretär, bei 
aufrichtigem Friedenswillen, um so leichter, eine Zusicherung über 
Englands Neutralität zu geben. Grey ist aber dieser Zusicherung 
auch in der unverfänglichen Form einer persönlichen Rückäusserung 
auf eine persönliche Frage ausgewichen. » 
Die englische Regierung begnügte sich nicht damit, ihrem Volke 
die wichtige Unterredung des Blb.-Stückes 123 in der entscheidenden 
Stunde zu verschweigen und sie später zu umschleiern. Auch in der 
deutschen für die Neutralen berechneten amtlichen Uebersetzung des 
Bib. wird dem unzweideutigen Text Gewalt angetan. Die wiederholt 
erwähnten Unterschiede zwischen dem englischen Original und der
	        
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