— 39 —
wenigstens die Möglichkeit eines deutsch-französchen Krieges
zu verhindern, sondern von vornherein Deutschlands Frie-
densbemühungen ablehnte, Russland blindlings folgte und
sich weigerte, neutral zu bleiben, und 3. dass England, nicht
Deutschland, den deutsch-englischen Krieg entfesselte und
erklärte, dass England einem Lande den Krieg erklärte,
das unbedingt mit ihm in Frieden leben wollte, damit eine
Krisis krönte, die es ohne seine strikte Dreiverbandspolitik
hätte vermeiden können, und einen Kriegsvorwand wählte,
der erst den englischen Willen zum Kriege zur Vorausset-
zung hatte.
Denn wenn irgend eine Tatsache mit siegreicher Klarheit
aus den vereinigten Dokumenten, vor allem den englischen
Akten hervorgeht, so ist es die, dass, nachdem England unbe-
dingt den Krieg mit Deutschland gewollt und unvermeidlich
gemacht hatte, es nur auf den notwendigen Vorwand wartete
und als diesen Vorwand die Verletzung der belgischen Neutra-
lität provozierte. Hatte Grey nicht zunächst den Kriegsgrund
darin gesehen, dass Deutschland nur das europäische Frank-
reich, nicht aber das französische Kolonialreich nach einem
Siege unangetastet lassen wollte? Hatte er nicht als zweiten,
wichtigeren Kriegsgrund eine etwaige Verletzung der bel-
gischen Neutralität bezeichnet? Das hinderte ihn nicht, trotz
Deutschlands Versprechen, auch Frankreichs Kolonialreich
zu achten, trotz Deutschlands Vorschlag, Belgiens Neutralität
nicht anzugreifen, die diplomatischen Verhandlungen abzu-
brechen und nun seine Absicht, Deutschland trotz aller Zu-
geständnisse auf dem Schlachtfelde entgegenzutreten, un-
widerrufbar zu machen.!) Damit aber war Deutschland der
Notwendigkeit enthoben, die belgische Neutralität zu respek-
tieren. Die Voraussetzung für die Achtung der belgischen
Neutralität, so wie Gladstone sie 1870 definiert hatte, war
ein neutrales England. Für Deutschland gab es nun, da es
mit den beiden anderen angrenzenden Garantiemächten
Belgiens im Kriege lag, keine Gewähr mehr dafür, dass
Belgiens Neutralität von den Gegnern geachtet werde, wie
es anderseits für Deutschland keine Gewähr dafür gab, dass
') Blb. Nr. 123, 148, 157, Gib. Nr. 126, 143, 144.