58 Dr. Otto Hoetzsch
ein Blick auf die Karte lehrt, trifft in Wien zusammen die große Sbene der
Donau und der Theiß mit den Ausläufern der Sudeten und ihres Vorlandes
und den Alpenländern, so daß alle drei natürlichen Teile der Gesamtmonarchie
hier den Mittelpunkt finden, an der richtigen Stelle des Donaulaufes, der
Susammenhalt, Lebensader, Schicksalsbestimmung der Monarchie ist. Das
ist die von der Matur bestimmte Einheit dieses Staates. Seinen inneren Sinn,
seine Aufgabe, kurz seine Jdee aber fand und findet er darin, Vormacht
Europas nach Südosten zu sein, und dazu muß er auch andere Zationali-
täten als die deutsche umfassen, die allein politisch gegen größere Nachbarn
und Gegner in der Luft hängen würden. Diesem Ssterreich-Ungarn, dieser
seiner geographisch-politischen Einheit und dieser seiner Sukunftsidee ver-
bündete Bismarck sein Deutsches Reich. Und diesen Gesamtstaat verteidigen
wir mit gegen den Hanslawismus, der ihn an der Wurzel bedroht, weil
wir ihn als eine WMotwendigkeit auch unserer GSukunft erkennen.
a) Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und
GOsterreich-Ungarn.
Denken wir nun in diese Sukunft und erwägen, wie sich dieser Bund
der Mationen zwischen Deutschland und Ssterreich-Ungarn weiterhin aus-
gestalte. Wir wollen dabei die wirtschaftlichen Beziehungen, obwohl sie
heute vor allem erörtert werden, nicht ausschließlich in den Vordergrund
stellen. Sie sind wichtig und sind übrigens auch seit Jahrzehnten schon
erörtert worden. Besser als die zahllosen Broschüren der Gegenwart, die
immer eine von der anderen ihre Weisheit abschreiben, soll man heute über
diese Frage das Werk des großen Schwaben Friedrich Tist: „Das nationale
System der politischen Gkonomie“ lesen. Es ist nicht ein trockenes TLehrbuch,
sondern es ist mit warmem Herzblut geschrieben, so verständlich, daß auch der
weniger Geschulte es verstehen kann, und wir meinen, daß seine Gedanken und
Formeln auch für die Bedürfnisse des Unterrichts brauchbar gemacht werden
können.
1. Der preußische und deutsche Sollverein schloß seit 1854, da er
fertig war, die habsburgische Monarchie unbedingt aus, und bein Versuch, der
dagegen unternommen wurde, ist geglückt. Das hatte seine politischen und
demnächst auch seine wirtschaftlichen Gründe. Die Derhältnisse der Erzeugung
und des Absatzes der Güter waren in den Gebieten des deutschen Soll-
vereins einerseits und denen der habsburgischen Monarchie andererseits so
verschieden, daß eine Aufnahme der letzteren in den Sollverein diesen wertlos
gemacht hätte. Wun treten diese Fragen, die auch nach 1870 oft erörtert
wurden, in ein anderes Licht. Man glaube nicht, daß die Frage „Mittel-
europa“, die durch das glänzend geschriebene Buch Friedrich aumanns
so verbreitet worden ist, heute vom Himmel gefallen sei. Wer die Literatur
kennt, weiß vielmehr, daß in raumanns Buch neue Gedanken nicht vor-
handen sind. Weu ist darin die glänzende Rhetorik und natürlich auch die
ganz andere Stimmung, in der wir solche Fragen heute behandeln und in
der wir viel bereiter sind, sie in uns aufzunehmen. Aber die Gedanken
als solche: Gsterreich-Ungarn, überhaupt Mitteleuropa wirtschaftlich, zoll-