S. 889.
56 Die Verfassung in gegenwärtiger Gestalt.
dasselbe Recht der Beschwerde an den Großherzog wegen Verletzung
ihrer verfassungsmäßigen Rechte zu. Die Beschlüsse über derartige Be-
schwerden erfordern die in § 67 vorgeschriebene Stimmenmehrheit.
Zu anderen Vorstellungen an den Großherzog sind beide Kam-
mern, sei es in Gemeinschaft, sei es jede für sich allein, berechtigt.
Eine Bitte um Vorlage eines Gesetzes darf nur dann von
einer Kammer an den Großherzog gebracht werden, wenn dieselbe
zuvor der andern Kammer mitgeteilt und dieser Gelegenheit gege-
ben worden ist, sich darüber auszusprechen.
IVa. Von den Anklagen gegen die Minister.
§ 67a#.
(Gesetze vom 20. Februar 1868 und vom 24. August 1904.)
Die zweite Kammer hat das Recht, die Minister und Mit-
glieder der obersten Staatsbehörde wegen einer durch Handlungen
oder Unterlassungen wissentlich oder aus grober Fahrlässigkeit be-
gangenen Verletzung der Verfassung oder anerkannt verfassungs-
mäßiger Rechte, oder schweren Gefährdung der Sicherheit oder
Wohlfahrt des Staates förmlich anzuklagen.
Ein solcher Beschluß erfordert die in den 95 64 und 73 für
Verfassungsänderungen vergeschriebene Stimmenzahl; die Zurück-
nahme desselben kann mit einfacher Stimmenmehrheit geschehen.
Das Anklagerecht der zweiten Kammer wird durch die Ent-
fernung des Angeklagten vom Dienste, mag sie vor oder nach er-
hobener Anklage erfolgen, nicht aufgehoben.
Im Falle der Verurteilung ist die Entlassung des Angeklag-
ten aus dem Staatsdienste zu erkennen.
Diese Folge der Verurteilung kann nur auf Antrag oder mit
Zustimmung der Stände wieder aufgehoben werden.
Über etwaige Entschädigungsforderungen steht dem Staats-
gerichtshof keine Entscheidung zu.
67 b.
(Gesetz vom 20. Februar 1868.)
Das Richteramt über die im vorigen Paragraphen erwähnte
Anklage übt die erste Kammer als Staatsgerichtshof in Verbindung
mit dem Präsidenten des obersten Gerichtshofs und acht weitern
Richtern aus, welche aus den Kollegialgerichten durch das Los be-
zeichnet und der ersten Kammer beigeordnet werden.
Dem Angeklagten und den Vertretern der Anklage steht ein
Ablehnungsrecht zu.