Graf Brandenburg. Bismarck und H. von Gagern. 77
und mich allein zu Tisch einlud und uns beide, während wir
noch bei der Flasche saßen, allein ließ, ohne uns eine ver-
mittelnde oder einleitende Andeutung zu hinterlassen. Gagern
wiederholte mir, nur minder genau und verständlich, was uns
als Programm seiner Partei ½) und etwas abgemindert als Re-
girungsvorlage bekannt war. Er sprach, ohne mich anzublicken,
schräg weg gegen den Himmel sehend. Auf meine Aeußerung,
wir royalistische Preußen befürchteten in erster Linie, daß mit
dieser Verfassung die monarchische Gewalt nicht stark genug
bleiben werde, versank er nach der langen und declamatorischen
Darlegung in ein geringschätziges Schweigen, was den Eindruck
machte, den man mit Roma locuta est übersetzen kann. Als Man-
teusfel wieder eintrat, hatten wir mehre Minuten schweigend
gesessen, ich, weil ich Gagern's Erwidrung erwartete, er, weil
er in der Erinnrung an seine Frankfurter Stellung es unter
seiner Würde hielt, mit einem preußischen Landjunker anders
als maßgebend zu verhandeln: er war eben mehr zum par-
lamentarischen Redner und Präsidenten als zum politischen
Geschäftsmann veranlagt und hatte sich in das Bewußtsein
eines Jupiter tonans hineingelebt. Nachdem er sich entfernt
hatte, fragte Manteuffel mich, was er gesagt habe. „Er hat
mir eine Rede gehalten, als ob ich eine Volksversammlung
wäre,“ antwortete ich.
Es ist merkwürdig, daß in den beiden Familien, welche da-
mals in Deutschland und in Preußen den nationalen Liberalis-
mus vertraten, Gagern und Auerswald, je drei Brüder vor-
handen waren, unter denen je ein General, daß diese beiden
Generale die praktischeren Politiker unter ihren Brüdern waren
und beide in Folge der revolutionären Bewegungen ermordet
wurden, deren Entwicklung jeder von ihnen in seinem Wir-
1) Das Gagern'sche Programm forderte Ausschluß Oesterreichs aus
Deutschland, Zusammenschluß des übrigen Deutschland zu einem Bundes-
staat, der mit Oesterreich in einem Unionsverhältniß stehen sollte.