Preußens militärische Gebundenheit. Bismarck wiegelt ab. 81
erlag der Enttäuschung, welche sein hohes patriotisches Ehr-
gefühl in den letzten Tagen seines Lebens erlitten hatte 1). Es
ist Unrecht, Stockhausen der Kleinmüthigkeit anzuklagen, und
ich habe Grund zu glauben, daß auch König Wilhelm I. zu
der Zeit, da ich sein Minister wurde, meine Auffassung bezüg-
lich der militärischen Situation im November 1850 theilte 7.
Wie dem auch sei, mir fehlte damals jede Unterlage zu einer
Kritik, die ich als conservativer Abgeordneter einem Minister
auf militärischem Gebiete, als Landwehr-Lieutenant dem Ge-
neral gegenüber hätte ausüben können.
Stockhausen übernahm es, mein in der Lausitz liegendes
Regiment zu benachrichtigen, daß er dem Lieutenant von Bis-
marck befohlen habe, in Berlin zu bleiben). Ich begab mich
zunächst zu meinem Landtagscollegen Justizrath Geppert, der
damals an der Spitze zwar nicht meiner Fraction, aber doch
derjenigen Zahlreichen stand, welche man das rechte Centrum
hätte nennen können, und die zur Unterstützung der Regirung
geneigt waren, aber die energische Wahrnehmung der nationalen
Aufgabe Preußens nicht nur prinzipiell, sondern auch durch
sofortige militärische Bethätigung für angezeigt hielten. Ich
stieß bei ihm in erster Linie auf parlamentarische Ansichten,
die mit dem Programme des Kriegsministers nicht überein-
1) S. o. S. 76 Anm. 1.
2) Im November 1850 war der Prinz für den Krieg; val. Brief
Bismarck's vom 16. Nov. 1850, Bismarck's Briefe an seine Braut und
Gattin S. 213. — In einer Auseinandersetzung zwischen dem Prinzen
von Preußen und dem Kriegsminister, bei welcher der erstere den
letzteren „schwer beleidigte“, sagte Stockhausen dem Prinzen: „Ich kenne
keine Ehre, die da anfängt, wo der gesunde Menschenverstand aufhört“
(Brief Bismarcks an Frau v. Bismarck vom 24. Nov. 1850, S. 218);
im Nachwort zu diesem Briefe vom 25. spricht Bismarck von der die
Friedensaussichten bedrohenden Kriegshitze des Prinzen von Preußen.
2) Vgl. Brief vom 16. Nov. a. a. O.: „Meine Stelle in der Schwadron
wird besetzt werden, und ich erhalte, wenn es wider Erwarten doch noch
losgehn sollte, anderweite Verwendung.“
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 6