Aufnahme Bismarck's in Wien. v. Werthern. Graf Platen. 99
winden, der der nationalen Zusammengehörigkeit entspringt;
zwischen Ungarn und Galizien einerseits und dem Zollverein
andrerseits ist die Verschiedenheit des Verbrauchs zollpflichtiger
Waaren zu stark, um eine Zollgemeinschaft durchführbar er-
scheinen zu lassen. Der Vertheilungsmaßstab für die Zoll-
erträge würde stets für Deutschland nachtheilig bleiben, auch
wenn die Ziffern es für Oestreich zu sein schienen. Letztres
lebt in Cis= und mehr noch in Trans-Leithanien vorwiegend
von eignen, nicht von importirten Erzeugnissen. Außerdem hatte
ich damals allgemein und habe ich auch heut noch sporadisch nicht
das nöthige Vertraun zu undeutschen Unterbeamten im Osten.
Unser einziger Legationssekretär ) in Wien empfing mich
mit Verstimmung darüber, daß er nicht Geschäftsträger wurde,
und suchte in Berlin Urlaub nach. Derselbe wurde von dem
Minister verweigert, von mir aber demnächst bewilligt:). So
kam es, daß ich mich auf den mir von früher her befreundeten
hanöverschen Gesandten Graf Adolf von Platen behufs der Vor-
stellung bei den Ministern und der Einführung in die diplo-
matische Gesellschaft angewiesen sand.
In vertraulichem Gespräch fragte er mich gelegentlich, ob
auch ich glaubte, daß ich zu Manteuffel's Nachfolger bestimmt
sei. Ich erwiderte, das läge einstweilen nicht in meinen Wün-
schen. Ich glaubte allerdings, daß der König mich in spätrer
Zeit einmal zu seinem Minister zu machen gedenke und mich
dazu erziehn wolle, in dieser Absicht auch mir die mission
extraordinaire nach Oestreich übertragen habe. Mein Wunsch
aber wäre, noch etwa zehn Jahre lang in Frankfurt oder an
verschiednen Höfen als Gesandter die Welt zu sehn und dann
gern etwa zehn Jahre lang, womöglich mit Ruhm, Minister zu
sein, dann auf dem Lande über das Erlebte nachzudenken und
wie mein alter Onkel in Templin bei Potsdam Obstbäume zu
1) Frhr. Georg v. Werthern.
:) Vgl. Preußen im Bundestage IV 85.