104 Viertes Kapitel: Diplomat.
Diese Verlassenheit des Königs war mir um so auffälliger,
als der Tisch, an dem wir saßen, mit allen möglichen amtlichen
oder privaten Papieren so bedeckt war, daß einzelne bei Be-
wegungen des Königs herunterfielen und von mir aufgehoben
werden mußten. Nicht weniger auffällig war es, daß der
blinde Herr mit einem fremden Diplomaten, wie ich, ohne jede
ministerielle Kenntnißnahme Stunden lang verhandelte.
Die Erwähnung meines damaligen Aufenthalts in Hanover
erinnert mich an einen Vorgang, der mir nie klar geworden
ist. Dem preußischen Commissarius, der in Hanover über die
schwebenden Zollangelegenheiten zu verhandeln hatte, war von
Berlin aus ein Consul Spiegelthal zur Aushülfe beigeordnet
worden. Als ich desselben als eines preußischen Beamten im
Gespräche mit dem mir befreundeten Minister von Schele er-
wähnte, gab dieser lachend sein Erstaunen zu erkennen: „Er
hätte den Mann nach seiner Thätigkeit für einen östreichischen
Agenten gehalten.“ Ich telegraphirte chiffrirt an den Minister
von Manteuffel und rieth, das Gepäck des Spiegelthal, der in
den nächsten Tagen nach Berlin zurückreisen wollte, bei der
Zollrevision an der Grenze untersuchen und seine Papiere in
Beschlag nehmen zu lassen. Meine Erwartung, in den fol-
genden Tagen davon zu lesen oder zu hören, erfüllte sich nicht.
Während ich die letzten Octobertage in Berlin und Potsdam
zubrachte ), erzählte der General von Gerlach mir u. A.:
„Manteuffel habe zuweilen ganz sonderbare Einfälle; so habe
er vor Kurzem verlangt, daß der Consul Spiegelthal zur könig-
lichen Tafel gezogen werde, und unter Stellung der Cabinets-
frage sein Verlangen durchgesetzt.“ Als ich ihm darauf meine
in Hanover gemachte Wahrnehmung mittheilte, gab er seinen
Gedanken einen unartikulirten Ausdruck.
1) Bismarck traf am 29. October 1853 Nachmittags im Gefolge des
Königs, von Letzlingen kommend, in Potsdam ein und blieb bis zum
2. November in Berlin-Potsdam.