Treibereien der Wochenblattspartei. Ein gefälschtes Memoire. 127
continentalen Beistand als den einer in coburgische Wege ge-
leiteten preußischen Politik im Stande sein würde — diese
Fragen bis an's Ende durchzudenken, fühlte niemand den Be-
ruf, am allerwenigsten die Fürsprecher derartiger Experimente.
Die Phrase und die Bereitwilligkeit, im Partei-Interesse jede
Dummheit hinzunehmen, deckten alle Lücken in dem windigen
Bau der damaligen westmächtlichen Hofnebenpolitik. Mit diesen
kindischen Utopien spielten sich die zweifellos klugen Köpfe der
Bethmann-Hollweg'schen Partei als Staatsmänner aus, hielten
es für möglich, den Körper von sechzig Millionen Groß-Russen
in der europäischen Zukunft als ein caput mortuum 0 zu be-
handeln, das man nach Belieben mißhandeln könne, ohne dar-
aus einen sichern Bundesgenossen jedes zukünftigen Feindes
von Preußen zu machen und ohne Preußen in jedem fran-
zösischen Kriege zur Rückendeckung gegen Polen zu nöthigen,
da eine Polen befriedigende Auseinandersetzung in den Pro-
vinzen Preußen und Posen und selbst noch in Schlesien un-
möglich ist, ohne den Bestand Preußens aufzulösen. Diese
Politiker hielten sich damals nicht nur für weise, sondern wurden
in der liberalen Presse als solche verehrt.
Von den Leistungen des Preußischen Wochenblatts ist mir
unter andern eine in der Erinnrung geblieben, ein Memeoire,
das angeblich unter dem Kaiser Nicolaus in dem Auswärtigen
Amte in Petersburg behufs Unterweisung des Thronfolgers
ausgearbeitet war, die in dem apokryphen, ungefähr um das
Jahr 1810½,) in Paris entstandnen Testamente Peter's des
Großen niedergelegten Grundzüge der russischen Politik auf die
Gegenwart anwendet und Rußland mit einer gegen alle Staaten
gerichteten Minirarbeit zum Zwecke der Weltherrschaft beschäftigt
erscheinen läßt. Es ist mir später mitgetheilt worden, daß
1) Ausdruck der älteren chemischen Wissenschaft für den nichtflüchtigen
und festen Rückstand von Destillationen („Todtenkopf“).
2) Genauer: 1812, wahrscheinlich auf Veranlassung Napoleons I.