Briefwechsel mit Gerlach über Legitimität und Bonapartismus. 183
gibt es nächst Oestreich Regirungen, die weniger den Beruf
fühlen, etwas für Preußen zu thun als die deutschen Mittel-
staaten? Im Frieden haben sie das Bedürfniß, am Bunde
und im Zollverein Rollen zu spielen, ihre Souveränetät an
unsern Gränzen geltend zu machen, sich mit von der Heydt zu
zanken, und im Kriege wird ihr Verhalten durch Furcht oder
Mißtraun für oder gegen uns bedingt, und das Mißtraun
wird ihnen kein Engel ausreden können, so lange es noch
Landkarten gibt, auf die sie einen Blick werfen können. Und
nun noch eine Frage: Glauben Sie denn und glaubt Se.
Majestät der König wirklich noch an den Deutschen Bund und
seine Armee für den Kriegsfall? ich meine nicht für den Fall
eines französischen Revolutionskrieges gegen Deutschland im
Bunde mit Rußland, sondern in einem Interessenkriege, bei
dem Deutschland mit Preußen und Oestreich auf ihren alleinigen
Füßen zu stehn angewiesen wären. Glauben Sie daran, so
kann ich allerdings nicht weiter discutiren, denn unfre Prämissen
wären zu verschieden. Was könnte Sie aber berechtigen, daran
zu glauben, daß die Großherzöge von Baden und Darmstadt,
der König von Würtemberg oder Baiern den Leonidas für
Preußen und Oestreich machen sollten, wenn die Uebermacht
nicht auf deren Seite ist und niemand an Einheit und Ver-
traun zwischen beiden, Preußen und Oestreich nämlich, auch
nur den mäßigsten Grund hat zu glauben? Schwerlich wird
der König Max in Fontainebleau dem Napoleon sagen, daß
er nur über seine Leiche die Gränze Deutschlands oder Oestreichs
passiren werde.
Ganz erstaunt bin ich, in Ihrem Briefe zu lesen, daß die
Oestreicher behaupten, sie hätten uns in Neuenburg mehr ver-
schafft als die Franzosen!). So unverschämt im Lügen ist doch
1) Um einen Conflict auszugleichen, in den Friedrich Wilhelm 1V.
von Preußen seit Anfang September 1856 über die ihm noch zustehenden
Hoheitsrechte in dem Fürstenthum Neuenburg mit der Schweiz gerathen