260 Zehntes Kapitel: Petersburg.
in der Thür um und sagte: „Meine erste Indiscretion nöthigt
mich zu einer zweiten. Sie werden die Sache natürlich nach
Berlin melden, benutzen Sie aber dazu nicht Ihren Chiffre
Nr. so und so, den besitzen wir seit Jahren, und nach Lage
der Dinge würde man bei uns auf mich als Quelle schließen.
Außerdem werden Sie mir den Gefallen thun, den compro-
mittirten Chiffre nicht plötzlich fallen zu lassen, sondern ihn noch
einige Monate lang zu unverfänglichen Telegrammen zu be-
nutzen.“ Damals glaubte ich zu meiner Beruhigung aus diesem
Vorgange die Wahrscheinlichkeit zu entnehmen, daß nur dieser
eine unsrer Chiffres sich im russischen Besitze befand. Die
Sicherstellung des Chiffres war in Petersburg besonders
schwierig, weil jede Gesandschaft russische Diener und Subal-
terne nothwendig im Innern des Hauses verwenden mußte
und die politische Polizei unter diesen sich leicht Agenten ver-
schaffte.
Zur Zeit des östreichisch-französischen Krieges klagte mir
der Kaiser Alexander in vertraulichem Gespräche über den
heftigen und verletzenden Ton, in welchem die russische Politik
in Correspondenzen deutscher Fürsten an kaiserliche Familien-
glieder kritisirt werde. Er schloß die Beschwerde über seine
Verwandten mit den entrüsteten Worten: „Das Beleidigende
für mich in der Sache ist, daß die deutschen Herrn Vettern
ihre Grobheiten mit der Post schicken, damit sie sicher zu meiner
persönlichen Kenntniß gelangen ).“ Der Kaiser hatte kein Arg
1) Vgl. Bismarck s Brief an Minister v. Schleinitz vom 20. Mai
1859., Briefwechsel 2c. S. 22: „Se. Majestät ist empfindlich über die
vielen Rathschläge in Betreff der russischen Politik, welche von den hohen
Verwandten in Deutschland eingehn und über den Ton, in welchem sie
vorgetragen werden. Es hieße da stets, Rußland müsse thun, der
Kaiser müsse einsehn, und wenn nicht, so folgten beleidigende Alter-
nativen. Am allerunpassendsten aber seien die Briefe, welche an Mit-
glieder der Kaiserlichen Familie, beispielsweise an die Großfürstin Helene
von deren Herrn Brüdern und an die Prinzessin von Oldenburg aus