Briefwechsel mit Roon über die Huldigungsfrage. 279
ich von der unfres allergnädigsten Herrn so weit entfernt zu
sein, daß er mich schwerlich zum Rathe seiner Krone geeignet
finden wird. Deshalb wird er mich, wenn überhaupt, lieber
im Innern verwenden. Das bleibt sich aber m. E. ganz gleich,
denn ich verspreche mir von der Gesammtregirung keine gedeih-
lichen Resultate, wenn unfre auswärtige Haltung nicht kräftiger
und unabhängiger von dynastischen Sympathien wird, an denen
wir aus Mangel an Selbstvertraun eine Anlehnung suchen,
die sie nicht gewähren können und die wir nicht brauchen.
Wegen der Wahlen ist es Schade, daß der Bruch sich grade
so gestaltet; die gut königliche Masse der Wähler wird den
Streit über die Huldigung nicht verstehn und die Demokratie
ihn entstellen. Es wäre besser gewesen, in der Militärfrage
stramm zu halten gegen Kühne , mit der Kammer zu brechen,
sie aufzulösen und damit der Nation zu zeigen, wie der König
zu den Leuten steht. Wird der König zu solchem Mittel im
Winter greifen wollen, wenn's paßt? Ich glaube nicht an
gute Wahlen für dießmal, obschon grade die Huldigungen
dem König manches Mittel gewähren, darauf zu wirken. Aber
rechtzeitige Auflösung nach handgreiflichen Ausschreitungen der
Mojorität ist ein sehr heilsames Mittel, vielleicht das richtigste,
zu dem man gelangen kann, um gesunden Blutumlauf her-
zustellen.
Ich kann mich schriftlich über eine Situation, die ich nur
ungenügend kenne, nicht erschöpfend aussprechen, mag auch
Manches nicht zu Papier bringen, was ich sagen möchte. Nach-
dem der Urlaub heut bewilligt, reise ich Sonnabend zu Wasser
und hoffe Dienstag früh in Lübeck zu sein, Abend in Berlin.
Früher kann ich nicht, weil der Kaiser mich noch sehn will.
Diese Zeilen nimmt der englische Courier wieder mit. Münd-
1) Abgeordneter, auf dessen Antrag die Gelder für die Reorgani-
sation des Heeres nur im Extraordinarium bewilligt wurden.