Ernennung Bismarck's nach Paris. Brief an Noon. 287
und Privataudienz verschoben wurde. Die Kaiserin sieht sehr
gut aus, wie immer. Gestern Abend kam der Feldjäger, brachte
mir aber nichts aus Berlin als einige lederne Dinger von
Depeschen über Dänemark. Ich hatte mich auf einen Brief
von Ihnen gespitzt. Aus einem Schreiben, welches Bernstorff
an Reuß 7 gerichtet hat, ersehe ich, daß der Schreiber auf meinen
dauernden Aufenthalt hier und den seinigen in Berlin mit Be-
stimmtheit rechnet und daß der König irrt, wenn er annimmt,
daß jener je eher je lieber nach London zurück verlange. Ich
begreife ihn nicht, warum er nicht ganz ehrlich sagt, ich wünsche
zu bleiben oder ich wünsche zu gehn, keins von beiden ist ja
eine Schande. Beide Posten gleichzeitig zu behalten, ist schon
weniger vorwurfsfrei. Sobald ich etwas zu berichten, d. h.
den Kaiser unter vier Augen gesprochen habe, werde ich dem
Könige eigenhändig schreiben. Ich schmeichle mir noch immer
mit der Hoffnung, daß ich Seiner Majestät weniger unentbehr-
lich erscheinen werde, wenn ich ihm eine Zeit lang aus den
Augen bin, und daß sich noch ein bisher verkannter Staats-
mann findet, der mir den Rang abläuft, damit ich hier noch
etwas reifer werde. Ich warte in Ruhe ab, ob und was über
mich verfügt wird. Geschieht in einigen Wochen nichts, so werde
ich um Urlaub bitten, um meine Frau zu holen, muß dann
aber doch Sicherheit haben, wie lange ich hier bleibe. Auf
achttägige Kündigung kann ich mich hier dauernd nicht einrichten.
Der Gedanke, mir ein Ministerium ohne Portefeuille zu
geben, wird hoffentlich Allerhöchsten Ortes nicht Raum gewinnen;
bei der letzten Audienz war davon nicht die Rede; die Stellung
ist nicht praktisch: nichts zu sagen und alles zu tragen haben,
in alles unberufen hineinstänkern und von jedem abgebissen,
wo man wirklich mitreden will. Mir geht Portefeuille über
Präsidium; letztres ist doch nur eine Reservestellung; auch würde
1) Prinz Heinrich VII. Reuß, damals Legationsrath bei der preußi-
schen Gesandtschaft in Paris.