Mängel und Schwächen der preußischen Politik seit Friedrich II. 309
finden, sind Ergebnisse nicht nationaler, sondern preußisch-
particularistischer Bestrebungen. Im Jahr 1786 lag das stärkre
Interesse noch nicht auf deutsch-nationalem Gebiete, sondern in
dem Gedanken polnischer territorialer Erwerbungen, und bis
in den Krieg von 1792 hinein war das Mißtraun zwischen
Preußen und Oestreich weniger durch die deutsche als durch
die polnische Rivalität beider Mächte genährt. In den Händeln
der Thugut-Lehrbachschen Periode spielte der Streit um den
Besitz polnischer Gebiete, namentlich Krakaus, eine mehr in die
Augen fallende Rolle als der in der zweiten Hälfte dieses Jahr-
hunderts im Vordergrunde stehende Streit um die Hegemonie
in Deutschland.
Die Frage der Nationalität stand damals mehr im Hinter-
grunde; der preußische Staat eignete sich neue polnische Unter-
thanen mit gleicher, wenn nicht mit größrer Bereitwilligkeit
wie deutsche an, wenn es nur Unterthanen waren, und auch
Oestreich trug kein Bedenken, die Erfolge der gemeinsamen
Kriegführung gegen Frankreich in Frage zu stellen, sobald es
befürchten mußte, daß ihm zur Wahrnehmung seiner polnischen
Interessen die nöthigen Streitkräfte Preußen gegenüber fehlen
würden, wenn es sie an der französischen Grenze verwenden
wollte. Es ist schwer zu sagen, ob die damalige Situation nach
Maßgabe der Ansichten und Fähigkeiten der in Oestreich und
Rußland leitenden Persönlichkeiten der preußischen Politik die
Möglichkeit bot, nützlichere Wege einzuschlagen als den des
Veto gegen die Orientpolitik seiner beiden östlichen Nachbarn,
wie in der Convention von Reichenbach, 27. Juli 1790), ge-
schah. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß dieses
Veto ein Act unfruchtbaren Selbstgefühls nach Art des fran-
zösischen prestige war, in welchem die von Friedrich dem Großen
zuziehen und keinerlei Verbindlichkeit zur Truppenstellung gegen Frank-
reich ein zugehen.
0) S. o. S. 191.