Versäumte Gelegenheiten. Preußen als rufsischer Vasallenstaat. 313
und König Karl X. stattgefunden hatten ), dem Berliner Cabi-
nete nicht unbekannt waren. Die Gemüthlichkeit der fürstlichen
Familienbeziehungen war bei uns in der Regel stark genug,
um russische Sünden zu decken, es fehlte aber die Gegenseitig-
keit. Im Jahre 1813 hatte Rußland ohne Zweisel einen An-
spruch auf preußische Dankbarkeit erworben; Alexander I. war
im Februar 1813 und bis zum Wiener Congreß seiner Zu-
sage:), Preußen in dem status quo ante s) wiederherzustellen,
im Großen und Ganzen treu geblieben, gewiß ohne die rus-
sischen Interessen zu vergessen, aber doch so, daß dankbare Er-
innrungen Friedrich Wilhelm's III. für ihn natürlich blieben.
— Solche Erinnrungen waren in meinen Knabenjahren bis
zum Tode Alexander's, 1825, auch in unserm Publikum noch
sehr lebhaft; russische Großfürsten, Generale und gelegentlich
in Berlin erscheinende Soldaten-Abtheilungen genossen noch
ein Erbtheil der Popularität, mit der 1813 die ersten Kosacken
bei uns empfangen worden waren. «
Flagrante Undankbarkeit, wie der Fürst Schwarzenberg sie
proclamirte ), ist in der Politik wie im Privatleben nicht nur
unschön, sondern auch unklug. Wir haben aber unfre Schuld
ausgeglichen, nicht nur zur Zeit der Nothlage der Russen bei
Adrianopel 1829 und durch unser Verhalten in Polen 1831,
sondern in der ganzen Zeit unter Nicolaus I., der der deut-
schen Romantik und Gemüthlichkeit ferner stand als Alexander I.,
wenn er auch mit seinen preußischen Verwandten und mit
preußischen Offizieren freundlich verkehrte. Unter seiner Re-
) Bezieht sich auf Verhandlungen, die über den Kopf Preußens
hinweg von Rußland wegen eines Bündnisses mit Frankreich angeregt
worden waren (1828.29).
2) Richtiger würde der Satz lauten: Alexander I. war bis zum
Wiener Congreß seiner im Februar 1813 gegebenen Zusage 2c. — Die
Zusage erfolgte im Bündniß zu Breslau am 26. Febr. 1813.
":) Zustand vor dem Kriege.
*) S. u. S. 400.