Ursache der Abhängigkeit. Mangel einer selbständig. preuß. Politik. 315
auf Gegenseitigkeit in Petersburg zur Anerkennung gebracht
haben, um so mehr, als 1830 nach der Juli-Revolution Preußen,
trotz der Schwerfälligkeit seines Landwehr-Systems, diesem
überraschenden Ereigniß gegenüber reichlich ein Jahr lang ohne
Zweifel der stärkste, vielleicht der einzige zum Schlagen be-
fähigte Militärstaat in Europa war. Wie sehr nicht nur in
Oestreich, sondern auch in Rußland die militärischen Einrich-
tungen in 15 Friedensjahren vernachlässigt worden waren,
vielleicht mit alleiniger Ausnahme der Garde des Kaisers und
der polnischen Armee des Großfürsten Constantin, bewies die
Schwäche und Langsamkeit der Rüstung des gewaltigen russi-
schen Reichs gegen den Aufstand des kleinen Warschauer König-
reichs.
Aehnliche Verhältnisse fanden damals in der französischen
und mehr noch in der östreichischen Armee statt. Oestreich
brauchte nach der Juli-Revolution mehr als ein Jahr, um den
Verfall seiner Heereseinrichtungen so weit auszubessern, daß
es eben nur seine italienischen Interessen zu schützen im Stande
war. Die östreichische Politik war unter Metternich geschickt
genug, um jede Entschließung der drei östlichen Großmächte
so lange zu verschleppen, bis Oestreich sich hinlänglich gerüstet
fühlte, um mitzureden. Nur in Preußen sfunctionirte die mili-
tärische Maschine, so schwerfällig sie war, mit voller Genauig-
keit, und hätte die preußische Politik eigne Entschlüsse zu fassen
vermocht, so würde sie Kraft genug gefunden haben, die Lage
von 1830 in Deutschland und den Niederlanden nach ihrem
Ermessen zu präjudiciren. Aber eine selbständige preußische
Politik hat in der Zeit von 1806 bis in die vierziger Jahre
überhaupt nicht bestanden; unfre Politik wurde abwechselnd in
Wien und in Petersburg gemacht. So weit sie in Berlin von
1786 bis 1806 und 1842 bis 1862 selbständig ihre Wege suchte,
wird sie vor der Kritik vom Standpunkte eines strebsamen
Preußen kaum Anerkennung finden.