322 Zwölftes Kapitel: Rückblick auf die preußische Politik.
partei war der Regent 1859 nahe daran, sich an dem italieni-
schen Kriege zu betheiligen. Wäre das geschehn, so wurde der
Krieg von einem östreichisch-französischen in der Hauptsache zu
einem preußisch-französischen am Rhein. Rußland in dem da-
mals noch sehr lebendigen Hasse gegen Oestreich würde minde-
stens gegen uns demonstrirt, und Oestreich, sobald wir in Krieg
mit Frankreich verwickelt waren, würde, am längern Ende des
politischen Hebels stehend, erwogen haben, wie weit wir siegen
durften. Was zu Thugut's Zeit Polen, war damals Deutsch-
land auf dem Schachbrett. Mein Gedanke war, immerhin zu
rüsten, aber zugleich Oestreich ein Ultimatum zu stellen, ent-
weder unfre Bedingungen in der deutschen Frage anzunehmen
oder unsern Angriff zu gewärtigen. Aber die Fiction einer
sortdauernden und aufopfernden Hingebung für „Deutschland“
nur in Worten, nie in Thaten, der Einfluß der Prinzessin und
ihres den östreichischen Interessen ergebenen Ministers von Schlei-
nitz, dazu die damals gang und gäbe Phraseologie der Parla-
mente, der Vereine und der Presse, erschwerten es dem Re-
genten, die Lage nach seinem eignen klaren und hausbacknen
Verstande zu prüfen, während sich in seiner politischen und
persönlichen Umgebung Niemand befand, der ihm die Nichtig-
keit des ganzen Phrasenschwindels klar gemacht und ihm gegen-
über die Sache des gesunden deutschen Interesses vertreten
hätte. Der Regent und sein damaliger Minister glaubten an
die Berechtigung der Redensart: II 7 a quelqu'un, qui a plus
d'esprit qdue Monsieur de Talleyrand, c'est tout le monde y.
Tout le monde braucht aber in der That zu viel Zeit, um das
Richtige zu erkennen, und in der Regel ist der Moment, in
dem diese Erkenntniß benutzt werden konnte, schon vorüber,
wenn tout le monde dahinter kommt, was eigentlich hätte ge-
than werden sollen.
1) Es gibt jemand, der mehr Verstand hat als Herr v. Talleyrand,
d. i. jedermann.