Dynast. Anhänglichkeit eine specifisch reichsdeutsche Eigenthümlichkeit. 335
Erhaltung des Königthums von allen den Parteien, die bisher
an der Herrschaft Antheil gehabt haben, für nützlich gehalten,
aber ich glaube nicht, daß das Volk zerfallen oder daß ähnliche
Gefühle, wie zur Zeit der Jacobiten ½), sich thatkräftig geltend
machen würden, wenn die geschichtliche Entwicklung einen
Dynastiewechsel oder den Uebergang zur Republik für das
britische Volk nöthig oder nützlich erscheinen ließe.
Das Vorwiegen der dynastischen Anhänglichkeit und die Un-
entbehrlichkeit einer Dynastie als Bindemittel für das Zusammen-
halten eines bestimmten Bruchtheils der Nation unter dem
Namen der Dynastie ist eine specifisch reichsdeutsche Eigenthüm-
lichkeit. Die besondern Nationalitäten, die sich bei uns auf
der Basis des dynastischen Familienbesitzes gebildet haben, be-
greifen in sich in den meisten Fällen Heterogene, deren Zu-
sammengehörigkeit weder auf der Gleichheit des Stammes noch
auf der Gleichheit der geschichtlichen Entwicklung beruht, sondern
ausschließlich auf der Thatsache einer in vielen Fällen anfecht-
baren Erwerbung durch die Dynastie nach dem Rechte des
Stärkern oder des erbrechtlichen Anfalls vermöge der Ver-
wandschaft, der Erbverbrüderung oder der bei Wahlcapitu-
lationen von dem kaiserlichen Hofe erlangten Anwartschaft.
Welches immer der Ursprung dieser particularistischen Zusammen-
gehörigkeit in Deutschland ist, das Ergebniß derselben bleibt die
Thatsache, daß der einzelne Deutsche leicht bereit ist, seinen
deutschen Nachbarn und Stammesgenossen mit Feuer und
Schwert zu bekämpfen und persönlich zu tödten, wenn infolge
von Streitigkeiten, die ihm selbst nicht verständlich sind, der
dynastische Befehl dazu ergeht. Die Berechtigung und Ver-
nünftigkeit dieser Eigenthümlichkeit zu prüfen, ist nicht die Auf-
gabe eines deutschen Staatsmannes, so lange sie sich kräftig
genug erweist, um mit ihr rechnen zu können. Die Schwierig-
1) Jacobiten nannte man die Anhänger des 1688 vertriebenen Königs
Jacob II. Stuart und seiner Nachkommen.