Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Erster Band. (1)

Geringschätzung Preußens in Wien, Ueberschätzung des Conflicts. 385 
  
Zudem überschätzte man in Wien die abschwächende Wirkung, 
welche unser innrer Conflict auf unfre auswärtige Politik und 
militärische Leistungsfähigkeit haben konnte. Die Abneigung 
gegen die Lösung des gordischen Knotens der deutschen Politik 
durch das Schwert war in weiten Kreisen eine starke, wie 1866 
mannigfache Symptome, von dem Blind'schen Attentat und 
dessen Beurtheilung in den fortschrittlichen Blättern 3c) bis zu den 
offnen Kundgebungen großer communaler Körperschaften und 
dem Ausfall der Wahlen, bezeugen. Aber in unfre Regimenter 
und deren Feuergefecht auf den Schlachtfeldern reichten diese 
Strömungen nicht hinein, und auf den Schlachtfeldern lag schließ- 
lich die Entscheidung. Auch die symptomatische Thatsache, daß 
in Berlin durch Vermittlung des frühern auswärtigen und da- 
maligen Hausministers von Schleinitz noch während der ersten 
Gefechte in Böhmen diplomatische Zettlungen mit höfischer Be- 
ziehung stattfanden), blieb auf die militärische Seite der Krieg- 
führung ohne jeden Einfluß. 
Wenn das östreichische Cabinet die vertrauliche Eröffnung, 
die ich dem Grafen Karolyi 1862 gemacht hatte, ohne irrthüm- 
liche Schätzung der Realitäten richtig gewürdigt und seine Politik 
dahin modificirt hätte, die Verständigung mit Preußen anstatt 
dessen Vergewaltigung durch Majoritäten und andre Einflüsse 
zu suchen, so hätten wir wahrscheinlich eine Periode dualistischer 
Politik in Deutschland erlebt oder doch versucht. Es ist freilich 
zweifelhaft, ob eine solche ohne die klärende Wirkung der Er- 
fahrungen von 1866 und 1870 sich in einem für das deutsche 
Nationalgefühl annehmbaren Sinne friedlich, unter dauernder 
X) In den Berliner Bilderläden hing eine Lithographie aus, in 
der das Attentat so dargestellt war, daß der Teufel die für mich be- 
stimmten Kugeln auffing mit den Worten: Der gehört mir! (Vgl. Po- 
litische Reden X 123, Rede vom 9. Mal 1884.) 
1) Diese Behauptung wird von den Angehörigen der Familie Schleinitz 
bestritten, ogl. Aus den Papieren der Familie Schleinitz. Berlin 1905 
(Verlag von E. Trewendt) S. 274 . 
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I. 25
	        
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