Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Dritter Band. (3)

Sechstes Kapitel. 
Die Kaiserlichen Erlasse vom 4. Februar 1890. 
In der Ministersitzung vom 26. Januar entwickelte ich noch 
einmal die Gefährlichkeit der beabsichtigten Kaiserlichen Erlasse, 
begegnete aber bei Boetticher und Verdy dem Einwande, ein 
ablehnendes Votum würde dem Kaiser mißfallen. Meine Collegen 
hatten ein sacrificium intellectus dem Kaiser, mein Stellver- 
treter und Adlatus hatte mir gegenüber eine Unehrlichkeit be- 
gangen. Vergebens ging ich so weit, es als einen Uebergang 
zum Landesverrath zu bezeichnen, wenn verantwortliche Minister 
den Souverän auf Wegen fänden, die sie für staatsgefährlich 
hielten, und das nicht offen sagten, sondern das verfassungs- 
mäßige Verhältniß umkehrten in ein vom Kaiser berathenes 
Staatsministerium. Diese meine Ausführung wurde von Herrn 
von Boetticher unter Zustimmung des Kriegsministers mit ein- 
facher Wiederholung des Satzes bekämpft, wir müßten doch dem 
Kaiser etwas nach seinem Wunsche zurecht machen. Da die 
übrigen Collegen sich enthielten, an der Discussion zwischen 
Boetticher und mir Theil zu nehmen, so mußte ich die Hoffnung 
aufgeben, den nach meiner Ueberzeugung staatsgefährlichen An- 
regungen Sr. Majestät ein einstimmiges Votum entgegenzusetzen. 
Ich hatte darauf gerechnet, daß das Staatsministerium sich 
ebenso verhalten würde, wie es geschehen war, wenn der Groß- 
vater des Kaisers durch weibliche, maurerische oder andere Ein- 
flüsse auf schädliche Wege gebracht war. In solchen Fällen 
mußte darauf ausgegangen werden, Einstimmigkeit der Minister 
herzustellen, wenn auch vorher starke Meinungsverschiedenheiten
	        
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