Full text: Geschichte des Kurstaates und Königreiches Sachsen. Erster Band: Von den frühesten Zeiten bis zur Mitte des sechzehnten Jahrhunderts. (1)

Dichtkunst. 203 
13. Jahrhunderts in Deutschland nicht üblich war. Es ist 
vielmehr ein meistersängerisches Volkslied, vielfältig unter den 
Meistern umhergesungen und durch spätere Zusätze bereichert, 
die sich an den ältesten Kern des Ganzen, wie er in dem Räthsel- 
spiel des zweiten Theiles vorzuliegen scheint, anschlossen. Erst 
aus dem Gedicht ist die Sage in die Chroniken übergegangen; 
auch die Legende der heiligen Elisabeth entnahm eine Gestalt, 
den Klingsor aus Ungarland (der Name bedeutet nichts als. 
einen Sänger oder Spielmann), dem Räthselspiel, um ihn die 
Geburt der Heiligen in den Sternen lesen zu lassen, und eben 
dadurch wurden die Chronisten, denen der Sängerkrieg als 
historisches Factum galt, genöthigt den Zeitpunkt desselben auf 
1206 und 1207 zu bestimmen. Dennoch kann der geschicht- 
liche Anlaß der Sage ein viel bestimmterer gewesen sein als 
nur im allgemeinen die gepriesene Kunstliebe des Landgrafen 
und seine Milde gegen die Sänger; denn gewiß lag die im 
ersten Theile verhandelte Frage, wem unter den Fürsten der 
Preis gebühre, ob dem Landgrafen, ob dem Herzoge von Oster- 
reich, jenem Kreise sehr nahe, vielleicht von Walther ange- 
regt und von Heinrich von Ofterdingen, für den ein geschicht- 
liches Zeugniß nicht fehlt, zu Gunsten des letzteren beantwortet; 
selbst der „tugendhafte“ (d. h. etwa der „ehrsame'"# ) Schreiber 
ist als Sänger und thüringischer Hofbeamter urkundlich be- 
wiesen. Es war dieser auch nach Thüringen und von da nach 
Meißen (denn auch Heinrich der Erlauchte dichtete) verpflanzte 
Minnegesang eine köstliche Frucht einer einmal aufgeregten geistigen 
Erhebung über die Fessel der Hierarchie und Feudalaristokratie, 
denen damit schwere Wunden geschlagen wurden, eine Erhebung 
der Geister, die sich in romantisch-frommen Ritterthaten, im 
Kampfe um die Heilstätten der Menschheit, ja in einer umge- 
kehrten Völkerwanderung wie in jenen Domen und Münstern, 
gleichsam versteinerten Epopöen des Mittelalters, und in jenen 
poctischen Ergüssen äußerte, deren viele in Kraft und Einfalt, 
in Treue und oft wundersamer Milde gleichsam in Worten ge- 
bauete Altäre und Heiligthümer waren. 1) 
1) Koberstein, über das wahrscheinliche Alter und die Bedeutung
	        
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