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heitssozialistischen Partei angehörten, wurde Legien gebeten,
zu einer Besprechung zu uns zu kommen, was auch geschah.
Ich legte nun als Vorsitzender des Arbeiterrates Legien die
Frage vor, wie er sich zu dem Streik stelle. Legien antwortete,
erst müsse er wissen, wer den Streik begonnen, und was der
Streik bezwecke, die Gewerkschaften hätten den Streik ja nicht
in der Hand und nicht veranlaßt. Ich erwiderte ihm, daß wir
zunächst nicht warten konnten, bis die Gewerkschaften den
Streik inszeniert hätten, denn dann wäre er sicherlich niemals
ausgebrochen. Im übrigen sei der Streik spontan ausgebrochen,
als Protest gegen Brest-Litowsk, und um dem Frieden zu dienen.
Legien versuchte immer wieder einer Erklärung aus dem Wege
zu gehen, erst auf energisches Drängen der Mitglieder des Ar-
beiterrates, die der Partei Legiens angehörten, und nachdem ich
erklärt hatte, daß wir uns den Streik zunächst als einen drei-
tägigen Demonstrationsstreik gedacht hätten, erklärte Legien,
daß derartige Dinge eintreten, liegt in der Haltung der Re-
gierung begründet, und im Hinblick auf das Verhalten der-
selben sei der Streik zu begrüßen. Ich fragte Legien dann
noch, ob wir dann, wenn die Regierung trotz des Demonstra-
tionsstreiks auf ihrer verderblichen Politik bestehe, resignieren
sollten. Darauf antwortete Legien: „Nein, keineswegs.“
Als ich nach Verbüßung meiner Gefängnisstrafe wieder nach
Kiel kam, wurde mir ein Flugblatt vorgelegt, in dem der Ja-
nuarstreik in der gemeinsien Weise heruntergemacht wurde,
unterzeichnet: Karl Legien
Man sieht hieraus, wie hervorragend die Sozialdemokraten sich
auf das Spiel der politischen Komödie verstanden. Die Sozialdemo-
kratie glaubte damals, stark genug zu sein, es auf die entscheidende
Machtprobe ankommen zu lassen. Für diese Auffassung liefert kein
Geringerer als Philipp Scheidemann einen schlagenden Beweis,
indem er schreibt 1:
„Der Streik war ein schwerer Schlag für die Regierung
und die sogenannte Vaterlandspartei; er hätte aber mehr sein
können, nämlich ein vernichtender Schlag."
1 Scheidemann, „Der Zusammenbruch“, S. 77.