— 47 —
Die Staatsnotwendigkeit verlangte, daß hier sofort ein Exempel
statuiert wurde. Der Tat Liebknechts, die eine Bedrohung der Ge-
samtheit von Volk und Staat darstellte, konnte nur erfolgreich be-
gegnet werden, wenn die Regierung sich ihrerseits sofort zur Tat ent-
schloß. Statt dessen gab man der Opposition Gelegenheit, das Ver-
brechen des Hochverrats in eine politische Heldentat umzudeuten,
und der erst nach Wochen einsetzende Prozeß stand für die große Masse
ganz unter dem Zeichen eines politischen Ketzergerichtes. Die Verur-
teilung Liebknechts zu vier Jahren Zuchthaus war der zweite große
Fehler, der gemacht wurde, denn dadurch erschien Liebknecht im Lichte
des Märtyrers, der geradezu den Revolutionären zum Vorbild wurde.
In Frankreich hat Clemenceau in ähnlichen Fällen anders ge-
handelt und, wie die Tatsachen beweisen, die Staatsgewalt gegen jeden
Versuch des Terrors in rücksichtsloser Weise zu behaupten gewußt.
Er hat in allen Fällen die nationale Lebensnotwendigkeit des
Volkes der Existenz des Einzelnen übergeordnet und ist
nicht vor Todesurteilen zurückgeschreckt. Es läßt sich nicht leugnen,
daß auch der Tote zum Märtpyrer wird, aber hierbei ist zu beachten,
daß der revolutionären Bewegung fürs erste der Führer genommen
ist, wodurch stets ein lähmender Rückschlag auf die Bewegung ein-
tritt, und daß auf die große Zahl der blinden Mitläufer ein solches
Urteil in hohem Maße abschreckend wirkt.
In Deutschland fehlte es bei den leitenden Stellen an
diesem politischen Mut zur Tat, und dieser Mangel an Rück-
sichtslosigkeit hat zum nicht geringen Teil an der sich immer mehr
und mehr ausbreitenden revolutionären Bewegung ein beträchtliches
Maß der Schuld.
Es läßt sich geschichtlich einwandfrei nachweisen, daß nach der
Verhaftung und Verurteilung Liebknechts die revolutionäre Aktion
in gesteigertem Maße einsetzte. Die Monate Juni und Juli 1916
zeigen eine ungeahnte Hochflut unterirdischer Flugblattliteratur.
Hierbei bediente man sich der verschiedensten Decknamen sowohl von
seiten der Verfasser als auch der Drucker. Eine nicht unbeträchtliche
Anzahl der Flugblätter erschien mit dem Vermerk „Gedruckt in der
Uniionsbruckerei Zürich“. Der Abgeordnete Haase hat bereits in der
Reichstagssitzung vom 27. Februar 1918 zugegeben, daß dieser Firmen-
titel lediglich eine Irreführung bezweckte, und die unter ihm erschie-