BÜLOW VERLÄSST BERLIN 531
verstünde, würde ich das wohl nicht als ein besonderes Lob betrachten. Nur
in zwei Fragen sei sie nicht meiner Ansicht gewesen. Sie habe mich oft zu
englandfreundlich gefunden; sie selbst wäre überzeugt, daß den Engländern
nicht zu trauen sei. Ich antwortete, daß die englische Politik im großen und
ganzen nicht perfider wäre als die der meisten anderen Länder. Tutto il
mondo 2 paese. Aber selbst wenn England wirklich gar so perfide sei, wäre
schon deshalb bei seiner Behandlung besondere Vorsicht geboten. Das
zweite Gravamen der Kaiserin war, daß ich die Erbschaftssteuer vorge-
schlagen habe, die den Adel zugrunde richte, der doch die sichere Stütze
von Thron und Altar sei, und die gleichzeitig das Familienleben zerstöre.
Das war natürlich Ihrer Majestät von törichten Hofleuten gesagt worden.
Einen Tag später verließ ich Berlin. Ich hatte Weisung gegeben, Tag
und Stunde meiner Abreise nicht in die Presse zu bringen, da ich Demon-
strationen vermeiden wollte. Es hatte sich aber doch herumgesprochen,
daß ich am 17. Juli von Berlin nach Norderney abreisen würde. Als ich mit
meiner Frau im Wagen das Reichskanzlerpalais verließ, warteten Tausende
von Menschen in der Wilhelmstraße, am Brandenburger Tor, vor dem
Bismarck-Denkmal und vor dem Lehrter Bahnhof und begrüßten mich mit
freundlichen Zurufen. Der Bahnhof war voll von Menschen, unter ihnen
meine Kollegen, die Staatsminister, der Bundesrat, das Diplomatische
Korps, persönliche Freunde, namentlich zahlreiche Offiziere, aber auch sehr
viele mir Unbekannte. Ich war äußerlich ruhig und gefaßt, aber innerlich
sehr bewegt und (warum soll ich es nicht gestehen?) voll trüber Ahnungen.
Als sich der Zug in Bewegung setzte, entblößte die Menge das Haupt und
stimmte das Deutschlandlied an. Während der Eisenbahnzug die Halle
verließ, drangen die letzten Klänge an mein Ohr:
Von der Maas bis an die Memel,
Von der Etsch bis an den Belt,
Deutschland, Deutschland über alles,
Über alles in der Welt.
Die Abfahrt