274 Deutschland und Italien finken.
Die Dehmgerichtt.
In jener heillosen Zeit erlangten die Vehmgerichte ihre eigentbüm-
liche Form, an welche die Volkssage und die neuere Poesie noch manche
schauerliche Zuthaten gefügt hat. Die Heimath der Vehmgerichte (von
Fehm, d. b. Strafe, Strafgericht) ist Westfalen („auf rother Erde“);
sie führten ihren Ursprung auf Kaiser Karl den Großen zurück, scheinen
aber aus den kaiserlichen öffentlichen Landgerichten hervorgegangen zu
sein, als dieselben allmählIig durch die Territorialgerichte der Landesherren
verdrängt wurden. Im 14. Jahrhundert bezeichnet der Name bereits
gebeime Gerichte, die von einem Vereine abgehalten wurden, dessen Mit-
glieder jedenfalls freien Standes sein mußten, sich Wissende nannten
und bestimmte Erkennungszeichen hatten. Die einzelnen Gerichte bießen
Freistühle, die Vorsitzer Freigrafen, die Beisitzer Freischöffen. Das
Gericht wurde unter freiem Himmel bei Tage von 7 Uhr bis nachmittags
auf allbekannten Mahlplätzen gehalten. Ein Angeschuldigter wurde binnen
einer bestimmten Frist (6 Wochen und 3 Tagen) durch Anschlag an
seiner Hausthüre oder an einem andern in die Augen fallenden Orte
geladen, und gehorchte er der Ladung nicht, so wurde er vervehmt
(d. b. geächtet) und jeder Wissende war verpflichtet ihn zu tödten. Er-
schien der Vorgeladene, so fand kein ingquisitorisches Verfahren sdatt,
sondern er wurde durch die beschworene Aussage von Zeugen entweder
überwiesen oder freigesprochen. Später wurde, wie es scheint, ein An-
geschuldigter von dem Gerichte nicht verhört, sondern auf die Glaub-
würdigkeit des Anschuldigers hin vervehmt. Diese Gerichte waren durch
kaiserliche Urkunden autorisiert und erstreckten aus Westfalen ihre Wirk-
samkeit im 14. Jahrhundert über einen großen Theil Deutschlands, in-
dem sie über 100,000 Wissende gezählt haben sollen; gerichtet wurde
aber nur in Westfalen. Sie urtheilten übrigens nur über todeswürdige
Verbrechen, die einzeln in den Weisungen der Freistühle aufgezählt sind;
die gewöhnliche Hinrichtungsart war die durch den Strang („die Wied“,
Weidenzweig).
Der Urtheilsspruch des Freigrafen lautete: „Den beklagten Mann
mit Namen N. nehme ich aus dem Frieden, dem Rechte und den Frei-
beiten, die Kaiser Karl gesetzt und Papst Leo bestätigt hat, und ferner
alle Fürsten, Herren, Ritter und Knechte, Freie und Freischöffen gelobt
und beschworen haben im Lande zu Sachsen, und werfe ihn nieder vom
höchsten zum niedersten Grad und setze ihn aus allen Freiheiten, Frie-
den und Rechten in Königsbann und Wette (Strafe) und in den höchsten
Unfrieden und Ungnade, und mache ihn unwürdig, echtlos und rechtlos,
siegellos, ehrlos, friedlos und untheilhaftig alles Rechts und verführe
ihn und vervehme ihn und setze ihn hin nach Satzung der heiligen Acht,
und weihe seinen Hals dem Stricke, seinen Leichnam den Thieren und