Full text: Die Weltgeschichte. Zweiter Theil. Das Mittelalter. (2)

Die neue Zeit. Die Staatsverfassungen. 355 
bloß an die alten Reichsgesetze gebunden, sondern er mußte bei seiner 
Wahl, bevor diese endgültig ausgesprochen wurde, eine sogenannte Kapi- 
tulation unterschreiben, durch welche er sich zur Haltung der vorgelegten 
Bedingungen verpflichtete. Und auch damit war es noch nicht genug; 
über alle etwas wichtigen Angelegenheiten des Reiches entschied nicht 
der Wille des Kaisers, sondern die Versammlung der Reichsstände, der 
Reichstag. Eine Bundesrepublik bildete aber das deutsche Reich ebenso 
wenig, obwohl es über 80 Stadtrepubliken, kaum weniger geistliche 
Stifte, welche Reichsstände waren, und die reichsständische Ritterschaft 
umschloß, denn die meisten Stände waren Erbherren kleinerer oder 
größerer Territorien mit voller Landeshoheit, also wahre Monarchen. 
Doch gerade jetzt machte sich in den meisten deutschen Staaten eine Be- 
schränkung der fürstlichen Gewalt durch die Stände geltend. 
Die Landstände. 
Die Fürsten konnten die Staaten nicht mehr in der alten Weise 
regieren; vor Zeiten hatten sie von ihren eigenen Gütern und Einkünften 
gelebt und die Kosten bestritten, die ihre Stellung mit sich brachte; Edel- 
leute und Bürger fochten ihre Kriege aus, die einen, weil sie durch 
Lehen verpflichtet waren, die andern als Gegenleistung für die ertheilten 
Freiheiten. Aber die Zeit hatte das Kriegswesen umgewandelt; es war 
nicht nur viel kostspieliger geworden, sondern der Edelmann und Bür- 
ger wurde mehr und mehr ungeeignet zum Kriege, der eine, weil seine 
Waffen nicht mehr paßten, der andere, weil er sein Gewerbe nicht 
stehen lassen konnte, und mit 40 Tagen Dienstzeit (die Vasallen mußten 
so lange in's Feld rücken) war den Fürsten nicht gedient, deßwegen 
mußten sie Soldaten werben. Ein Soldheer war aber sehr theuer und 
es gab nicht einen einzigen Fürsten, der ein solches für zwei Feldzüge 
aus seinem eigenen Vermögen bestreiten konnte. Außerdem war das 
Geschütz aufgekommen, das sehr kostbar war, und kundige Stückmeister 
und Konstabler ließen sich nur um sehr hohen Preis finden. Die Fürsten 
griffen daher zu mancherlei Mitteln um Geld zum Kriege zu bekommen; 
sie machten bei den Juden, bei den Italienern oder bei reichen Deutschen 
Schulden; das half nicht lange, denn die Zinsen waren so hoch, daß sie 
den Schuldner erdrückten, wenn er nicht das Kapital zu tilgen vermochte. 
Die meisten suchten sich durch Anlegung neuer Zölle zu helfen, und der 
Verkehr wurde außer den Gränzzöllen mit Ertrazöllen auf Straßen, 
Brücken, Flüssen belastet, aber auch so gelähmt und der Preis der Waaren 
so vertheuert, daß durch die Zölle die Gans geschlachtet wurde, welche 
goldene Eier legte. Noch schlimmer ging es mit dem Versuche, durch 
Verschlechterung der Münze Erkleckliches zu gewinnen; die eigenen Unter- 
thanen konnten wohl genöthigt werden, das schlechte Geld anzunehmen, 
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