Full text: Central-Blatt für das Deutsche Reich. Erster Jahrgang. 1873. (1)

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in einem früheren Zeitpunkte einmal für festgestellt zu erachten, so würde es, beim Mangel aller 
Anhaltspunkte für eine derartige Annahme die Aufgabe des Verklagten gewesen sein, darzuthun, 
daß hierin später eine Aenderung eingetreten sei, und die Wittwe seldsiständig einen Unterstützungs- 
wohnsitz erworben habe. Der Hinweis auf bloße Möglichkeiten kann in dieser Hinsicht nicht genügen. 
War sonach auch der N. N. beim Eintritt seiner Unterstützungsbedürftigkeit noch landarm, so kanm, 
da Treptow a. Toll. dem Landarmenbezirke Alt-Pommern unbestritten angehört, nach §. 30 b des 
Reichsgesetzes auch nur dieser Landarmenverband als der zur Erstattung der Pflegekosten verpflichtete 
betrachtet werden. Darauf, wo sich dessen Mutter zur Zeit der bei ihm eingetretenen Hülfsbedürf- 
tigkeit etwa aufgehalten haben mag, kann es nach der klaren Fassung des §. 30b und der in den 
Motiven ausgesprochenen, im §. 30 zum Ausdruck gebrachten und zum Gesetze gewordenen Absicht 
des Gesetzgebers, nicht ankommen. In dem Berichte der Reichstags-Kommission zum §. 29 ihres 
Entwurfs — dem heutigen §. 30 — ist ausdrücklich gesagt, daß durch die an die Stelle des offi- 
ziellen Vorschlages gesetzte Bestimmung derjenige Bezirk habe verpflichtet werden sollen, innerhalb 
dessen die Hülfsbedürftigkeit hervortritt. — Verhandlung des Reichstags von 1870, Bd. 4 
S. 580. — Außerdem wurde vom Reichstage, nach dem Vorschlage der Kommission, der §. 51 
des offiziellen Entwurfs gestrichen, welcher, wie die Kommission bemerkte, den Gedanken Ausdruck 
geben sollte, daß die Bestimmungen über den akzessorischen Erwerb des Unterstützungswohnüe#s 
auch da analog zur Anwendung kommen sollten, wo es sich um die Unterstützung der Angehörigen 
einer solchen Person handelt, welche keinen Unterstützungswohnsitz hat. Die Kommission erklärte 
sich dabei ausdrücklich gegen das vom offiziellen Entwurf adoptirte System, nach welchem bei der 
Unterstützung Hälsbedürtiaer Ehefrauen und Kinder Landarmer nicht derjenige Landarmenverband 
einzutreten haben würde, in welchem die Hülfsbedürftigkeit der Ersteren hervortritt, sondern der- 
jenige Landarmenverband, innerhalb dessen sich der mabgebende Aszendent, beziehungsweise Ehegatte 
in demselben Augenblicke aufhält, und motivirte den eignen Vorschlag, abgesehen von dem Hinweise 
auf die praktischen Schwierigkeiten, welche bei einem anderen Systeme sich darbieten mußten, mit der 
Zweckmäßigkelt, das leicht greisbare Moment des Aufenthalts des Hulfsbedürftigen selbst festzu- 
halten und mit der Ausführung, daß, wo ein Landarmer sich von seiner Ehefrau und seinen Kindern 
dergestalt getrennt habe, daß im Momente der Hülfsbedürfüigkeit der letzteren er sich nicht einmol 
innerhalb desselben Landarmenbezirks mit ihnen befinde, die Gemeinsamkeit der Ehe und Familie 
soweit gelöst sei, daß hieraus die ideclle Nothwendigkeit der akzessorischen Unterstützung nicht mehr 
hergeleltet werden könne. — I. cit. S. 588, 589 und Bo. 2 S. 986. 
Im Sinne des §. 30.b des Reichsgesetzes ist sonach bezüglich der Pflicht zur Unter- 
stützung des Kindes eines Landarmen lediglich der Aufenthalt des Kindes beim Eintritte der Hülfs- 
bechursget. auch dann entscheidend, wenn dasselbe das Alter von 24 Jahren noch nicht, wie N. N., 
erreicht hatte. 
Hiermit erledigt sich auch die fernere Ausführung des Verklagten, daß die Mutter des N. N. 
sich seit Jahren in der Person ihrer übrigen Kinder in der Fürsorge des Neuvorpommerschen 
Armenverbandes befinde, und wenn ein weiteres Unterstützungsbedürfniß derselben hervortrete, die 
Fürsorgepflicht des Landarmenverbandes von Neuvorpommern auch hierauf zu erstrecken sei, da jede 
Armenpflege vollständig und so lange gewährt werden müsse, bis die Nothwendigkeit dazu gänzlich 
wegfalle. Das Reichsgesetz betrachtet die Verpflichtung des Landarmenfonds zur Unterstützung der 
Angehörigen eines Landarmen eben nicht als eine akzessorische der Verpflichtung zur Fürsorge für 
letzteren, sondern als eine selbstständige, an die Person des Hülfsbedürftigen seln geknüpfte.