Full text: Central-Blatt für das Deutsche Reich. Erster Jahrgang. 1873. (1)

5. Heimathe-Wesen. 
Das Bundesamt für das Heimathwesen hat in der Sitzung vom 7. Januar 1873 in Sachen Gorczyn contra 
Posen folgenden Grundsatz ausgesprochen: 
„Wenn ein Ortsarmenverband seine Klage auf die Behauptung gründet, daß er sich der Ver- 
pflegung einer erkrankten Person unterzogen habe, nicht weil er verpflichtet gewesen sei, die 
öffentliche Fürsorge für dieselbe vorläufig zu übernehmen, sondern nur zu dem Zweck, um die 
Geschäfte des zu dieser Fürsorge verpflichtet gewesenen verklagten Verbandes zu führen, so 
sind die Deputationen und das Bundesamt für das Heimathwesen zur Entscheidung eines 
solchen Rechtsstreites nicht zuständig. 
Die Gründe dieser Entscheidung sind folgende: 
Die in Gorczyn in Diensten stehende B. ist am 4. September 1870 auf Veranlassung der Hebamme 
zur Vollziehung ihrer Entbindung in das städtische Krankenhaus in Posen geschafft und dort bis zum 7. Februar 
1871 behandelt nnd verpflegt worden. Der Magistrat in Posen fordert vom Ortsarmenverbande der Gemeinde 
Gorczyn auf Grund des §. 26 des Armenpflege-Gesetzes vom 31. Dezember 1842 Erstattung der für die V. 
verwendeten Kosten aus der Geschäftsführung, weil Verklagter nach der gedachten Vorschrift verpflichtet gewesen 
sei, der B. die nöthige Unterstützung vorläufig zu gewähren. Zur ECntscheirung dieses Streites sind die in den 
F. 40, 57 des preußischen Ausführungs-Gesetzes vom 8. März 1871 in Ausführung des §. 37 des Reichs- 
esetzes vom 6. Juni 1870 konslituirten Behörden nicht zuständig. Dieselben sind zur Entscheidung von Streitig- 
eiten zwischen verschiedenen Armenverbänden über die öffentliche Unterstützung Hülfsbedürftiger 
berufen. Im untergebenen Falle mangelt es aber nicht allein an jedem Nachweise, daß die V. hülfsbedürftig 
war und daß die öffentliche Fürsorge für dieselbe in Anspruch genommen worden ist, sondern Kläger sagt so- 
gar in der Klage ausdrücklich, daß die Verpflegung der B. seinerseits nicht im Wege der öffentlichen 
Armenpflege erfolgt sei. Auch in der Neplik erklärt der Kläger ausdrücklich, daß er sich für berechtigt halte, 
vollen Ersatz der aufgewendeten Kosten zu fordern, da er im vorliegenden Falle lediglich aus dem außer- 
halb der Regeln der öffentlichen Fürsorge stehenden Rechtsverhältnisse der Geschäftsführung ohne 
Auftrag klage. Diesen Anspruch kann aber Kläger nur vor den ordentlichen Gerichten verfolgen. Die De- 
putationen und das Bundesamt für das Heimathwesen sind zur Entscheidung dieses Streits nicht zuständig, 
weil es sich nicht um eine im Wege der öffentlichen Armenpflege gewährte Unterstützung handelt und weil aus 
eben diesem Grunde der Kläger mit Unrecht als Vertreter des Ortsarmenverbandes der Stadt Posen, anstatt als 
Vertreter des Eigenthümers des dortigen städtischen Krankenhauses klagt. Daß Kläger zugleich Vertreter des Orts- 
armenverbandes ist, ist ein rein zufälliges Verhältniß, und ebensowenig, wie ein Privatarzt befugt wäre, seinen 
Anspruch aus der negotiorum gestio auf dem in den mehrbezeichneten Gesetzen vorgesehenen prozessualischen Wege 
zu verfolgen, wenn die B. in seine Heilanstalt gebracht worden wäre, ist auch der Magistrat in Posen zur Be- 
schreitung dieses Rechtsweges befsugt. Das vorliegende Prozeßverfahren kann, wie auch §. 38 des Reichs- 
gesetzes ergiebt, nur auf den Antrag dessenigen Armenverbandes eingeleitet werden, welcher die öffentliche 
Unterstützung vorläufig zu gewähren genöthigt war, während Kläger ausdrücklich in der Klage sagt, daß er sich 
der Verpflegung der B. iß zur Genügung einer Selbstpflicht unterzogen habe. Den ausdrücklichen Erklärun- 
gen gegenüber, welche Kläger in erster Instanz abgegeben hat, kann seine völlig unmotivirte Ausführung in 
der Berufungsrechtfertigung, daß die B. hülflos in die Stadt Posen geschoben worden sei, und daß er, 
Kläger, nur als Vertreter des Ortsarmenverbandes gehandelt habe, keine Beachtung finden. 
Das erste Erkenntniß mußte daher dahin abgeändert werden, daß die Deputationen und das Bundes- 
amt für das Heimathwesen zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites für nicht zuständig zu erachten.
	        
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