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In Sachen Segeberg wider Traventhal hat sich das Bundesamt in dem Erkenntniß vom 18. Mai 1874
Über den Begriff der Hülfsbedürftigkeit resp. öffentlichen Unterstützung wie folgt ausgesprochen:
Nach dem eigenen Vortrage des Klägers hat die Polizeibehörde den Arbeiter G. aus sanitäts-
polizeilichen Gründen aus seiner Wohnung exmittirt und da G. ein anderweitiges genügendes Unter-
kommen nicht nachwies, die Aufnahme desselben mit seiner Frau und seinen sieben Kindern in das
Armenhaus veranlaßt, wo die Familie vom 7. April bis zum 1. Mai 1873 Obdach und Verpflegung
gefunden hat. Hülfsbedürftig ist die Familie nicht gewesen. G. war vollkommen arbeitsfählg; er
hat auch, während er im Armenhause war, seine Arbeit bei dem Müller L. fortgesetzt. Die Familie
hat sich sowohl vor ihrer Aufnahme in das Armenhaus, wie nach ihrer Entlassung aus demselben
unterhalten, ohne die öffentliche Fürsorge in Anspruch zu nehmen, und es muß daher angenommen
werden, daß sie auch während ihres Aufenthalts im Armenhause der öffentlichen Unterstützung nicht
benöthigt war. Ob ihr Privatwohlthätigkeit das Fortkommen erleichtert hat, darauf kommt es nicht
an. G. selbst hat auch glaubhaft bekundet, daß er nur gezwungen den Aufenthalt im Armenhause
genommen, um Armenunterstützung nicht gebeten und solcher auch nicht bedurft habe. Die Unter-
bringung der Familie war also nur eine im öffentlichen Interesse getroffene polizeiliche Maßregel,
deren Kosten der verklagte Armenverband nicht zu erstatten hat. Mittelst Unterbringung in einem
Armenhause kann nach §. 1 des Gesetzes vom 8. März 1871 geeignetenfalls eine Unterstützung ge-
währt werden, so lange dieselbe in Anspruch genommen wird. Wider seinen Willen darf also über-
haupt niemand von der Verwaltungsbehörde in einem Armenhause festgehalten werden. Es blieb
der zuständigen Behörde überlassen, den etc. G. zur Beschaffung eines geeigneten Unterkommens an-
zuhalten, und wenn er durch eigenes Verschulden dieser Auflage nicht Folge leistete, seine Bestrafung
herbeizführen. Hätte in diesem Falle der Richter auf Ueberweisung an die Landespolizeibehörde
erkannt und letztere die Unterbringung in einem Arbeitshause verfügt, so hätte der Landarmen-
verband nach §. 38 a. a. O. die Kosten der Verpflegung tragen müssen.
Allerdings ist der Familie im Armenhause nicht bloß Obdach, sondern auch Verpflegung ge-
währt worden, und Kläger verlangt Erstattung dieser Kosten theils auf Grund des Tarifs, theils
mit besonderer Liquidation, nach Abzug des 10 Thir. betragenden Arbeitsverdienstes des G. Aber
auch diese Verpflegung war, wie oben erwähnt, von der Familie nicht beansprucht, und ist ihr nicht
zu theil geworden, weil sie hülfsbedürftig war, sondern weil sie überhaupt in die Anstalt aufge-
nommen war. Kläger selbst behauptet nicht, daß G. diese Verpflegung verlangt habe, sondern nur,
daß er dieselbe wie jeder andere Alumne angenommen habe. Ob G. mit den zehn Thalern,
welche er in der Zwischenzeit verdient, die Familie hätte unterhalten können, darauf kommt es nicht
an. Es frägt sich nur, ob die Familie, wäre ihr die Unterstützung im Armenhause nicht gewährt
worden, auch ohne dleselbe ihren Lebensunterhalt, auf welche Weise es immer sei, hätte bestreiten
können, und dies zu verneinen, liegt kein Anlaß vor, da sie vor und nach der kritischen Zeit ohne
Armenunterstützung gelebt hat. Es kommt in dieser Beziehung insbesondere nicht bloß die Arbeits-
kraft des Mannes, sondern auch die der Ehefrau und eines über vierzehn Jahre alten Kindes
in Betracht.
6. Post-Wesen.
Eröffnung der Eisenbahn Hattingen, Reg.- Bez. Amsberg,-Herdecke.
Die Eisenbahn zwischen Hattingen, Reg.-Bez. Arnsberg, und Herdecke wird am 1. Juni eröffnet und
von demselben Termine ab zur Beförderung von Postsendungen jeder Art benutzt werden. Auf der neuen Eisen-
bahn treten Eisenbahn- Postbüreaus in Wirksamkeit, welche dem Eisenbahn- Postamte Nr. 15 in Ober-
hausen, Reg.-Bez. Düsseldorf, zugewiesen sind. Dieselben werden zugleich den Postdienst auf der Strecke
Düsseldors- Kupferdreh- Steele- Hattingen wahrnehmen.
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