Full text: Central-Blatt für das Deutsche Reich. Dritter Jahrgang. 1875. (3)

                             — 185 — 
                               5. Marine und Schiffahrt. 
  
Mit der nächsten Seeschiffer-Prüfung für große Fahrt wird in Papenburg am 29. April d. Js. begonnen 
werden. 
                                        6. Heimath-Wesen. 
Ruhen des Fristenlaufs. Hülfsbedürftigkeit. Obdachlosigkeit. Polizeiliche Verschaffung eines Unter- 
kommens. Armenunterstützung. Uebernahmepflicht. 
Der erste Richter hat die von dem Ortsarmenverbande Damme gegen den Gutsarmenverband Kleinow 
erhobene Klage auf Uebernahme der Wittwe S. und ihres 13jährigen Sohnes August, sowie auf Erstattung 
der der S. durch Gewährung von Brennmaterial und einer miethweise beschafften Wohnung bereits geleisteten 
Unterstützung, sowie der ihr ferner noch bis zur Uebernahme zu gewährenden nothwendigen, in separato zu 
ermittelnden Armenunterstützung abgewiesen, weil die S. ihren früheren Unterstützungswohnsitz Kleinow noch 
bei Lebzeiten ihres am 20. November 1871 verstorbenen Ehemannes mit demselben verlassen hat, und des- 
halb bei Erhebung der Klage — am 16. Dezember 1873 — die vom Todestage des Mannes an zu be- 
rechnende Verlustfrist des §. 22 Nr. 2 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 zu Gunsten der Verklagten bereits 
abgelaufen gewesen sei, da innerhalb des zweijährigen Zeitraums eine dauernde Hülfsbedürftigkeit bei der S. 
nicht hervorgetreten war. Das Bundesamt für das Heimathwesen hat durch Erkenntniß vom 13. Februar 
1875 die erstrichterliche Entscheidung bezüglich der Abweisung des Antrags auf Uebernahme bestätigt, bezüglich 
der Verpflichtung zur Erstattung der geleisteten und noch zu leistenden Armenunterstützung aber reformirt, und 
abgesehen von einer, hier nicht interessirenden Abweichung bezüglich der Höhe der Forderung, grundsätzlich 
nach dem Klageantrage erkannt. 
In den Gründen wird namentlich Folgendes ausgeführt: 
Nach §. 27 ibid. ruht der Lauf der zweijährigen Frist während der Dauer jeder von einem 
Armenverbande gewährten öffentlichen Unterstutzung. Das Gesetz unterscheidet nicht, ob dieselbe 
nur aus Gründen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit oder aus andern Gründen hat gewährt 
werden müssen. Auch im erstern Falle würde daher der Zeitraum bei der Berechnung der Frist 
auszuscheiden gewesen sein, während welcher aus den Mitteln der öffentlichen Armenpflege dem 
von seinem früheren Unterstützungswohnsitze Abwesenden irgend welche Unterstützung gewährt 
werden mußte. Schon die nach der Behauptung der Klage und im Zugeständnisse der Klage- 
beantwortung der Wittwe S. aus seinen Mitteln seit dem 1. Oktober 1873 — für den Winier 
1873 auf 1874 — erfolgte Lieferung des Brennmaterials im Betrage von 2000 Stück Torf und 
2 Meter Holz reicht daher, da darüber kein Zweifel obwaltet, daß damit vor dem 20. November 
begonnen wurde, vollständig aus, den Ablauf der zweijährigen Verlustfrist zu verhindern, vorausge- 
setzt, daß überhaupt eine Hülfsbedürftigkeit der S. im armenrechtlichen Sinne, sic mochte nun 
eine dauernde sein oder nicht, jene Unterstützung nothwendig gemacht hatte. 
Was aber die Frage anbetrifft, ob die S. als hülfsbedürftig in diesem Sinne anzusehen 
war, so ist die Verpflichtung, einen Armen zu unterstützen, im Gesetze nicht davon abhängig ge- 
macht, daß seine Hülfsbedürftigkeit eine vollständige, ein Zustand völliger Hülfslosigkeit sei. Es 
kommt vielmehr nur darauf an, ob derselbe, also im vorliegenden Falle die im Uebrigen unstreitig 
völlig mittellose Wittwe S., in der entscheidenden Zeit, hier also vom 1. Oktober 1873 an, in der 
Lage war, sich durch seine Arbeit dasjenige vollständig erwerben zu können, was er für sich und 
die auf ihn noch angewiesenen Angehörigen zur nothwendigsten Subsistenz bedarf, wozu nach §. 1 
des hier rücksichtlich des Umfangs der event. zu leistenden Armenhülfe maßgebenden preußischen 
Ausführungsgesetzes vom 8. März 1871 das Obdach und der unentbehrlichste Lebensunterhalt, 
also namentlich auch das unerläßliche Brennmaterial zu rechnen ist. Nach Lage der Sache muß 
aber angenommen werden, daß die Wittwe S. Heernn in der fraglichen Zeit nicht im Stande ge- 
wesen ist. Schon durch das Attest des Kreisphysikus Dr. L. vom 12. November 1873 ist bezeugt: 
                                                                                     27
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.