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Folge der schwierigen Geldmarktlage, wahrschein-
lich aber nur eine Taktik der Großspekulanten,
um eine billige Basis für ihre Einkäufe zu schaffen,
und dann eine neue Hausse ins Werk zu setzen.
Das alte Spiel! Machtlos steht die Industrie-
welt diesem Treiben gegenüber, und als natür-
liche Folge ist die Bevölkerung aller Kulturstaaten
bei einem fortgesetzt steigenden Verbrauch des
unentbehrlichen Rohstoffes (in Deutschland 1840
½ kg, 1900 6 kg, 1905 8 kg, in England
sogar 18 kg pro Kopf) durch Verteuerung des
Bedarfs an Baumwollwaren aller Art in empfind-
liche Mitleidenschaft gezogen.
Mit dem Ziele, eine allmähliche Gesundung
des Baumwollmarktes herbeizuführen, sind seit
dem Frühjahr wieder neue Anstrengungen ge-
macht worden.
Der IV. Internationale Baumwoll-
kongreß vom Juni dieses Jahres zu Wien hat
neuerdings als wirksamstes und einziges Mittel
die Erschließung neuer Baumwollproduktions=
gebiete bezeichnet und die Regierungen und
Interessenten aller Kulturstaaten zu einer tat-
kräftigen Unterstützung des kolonialen Baumwoll=
baues aufgefordert. Die Behauptung der ameri-
kanischen Delegierten, die Südstaaten Amerikas
allein genügten als Baumwollproduzenten, wider-
legte der Delegierte des Kolonial-Wirtschaftlichen
Komitees mit dem Hinweis, daß der Welthandels-
artikel Baumwolle nicht von den zufälligen
Witterungs= und Ernteverhältnissen eines ver-
hältnismäßig kleinen Teiles der Erde abhängen
dürfe und daß die Produktion durch Ausbreitung
über den Baumwollgürtel auf eine breitere
Grundlage gestellt werden müsse. Einem weiteren
Beschluß des Internationalen Kongresses: die
Erfahrungen in der mit dem Baumwollbau zu-
sammenhängenden Bewässerungs= und Entwässe-
rungsfrage gegenseitig auszutauschen, ist seitens
der Asscciation cotonnière coloniale an das
Kolonial-Wirtschaftliche Komitee bereits entsprochen
worden.
Eine Studienreise nach den Südstaaten
der Union im Anschluß an den im Ofktober d. J.
stattgefundenen Internationalen Baumwollkongreß
in Atlanta, an dem über 100 europäische In-
dustrielle und Baumwollbau-Interessenten teil-
nahmen, hat sich mit der Kultur, der Ernte-
bereitung und der Verarbeitung der Baumwolle
befaßt. Die Delegierten des Kolonial-Wirtschaft-
lichen Komitees studierten insbesondere die dortigen
Baumwollschulen. Seitens der Europäer wurde
aufs neue die Wichtigkeit von Baumwollneu=
anpflanzungen außerhalb Nordamerikas betont.
Die amerikanischen Farmer hielten an der Forde-
rung eines Normalpreises von 15 Cents pro
Pfund fest, ein Umstand, der die junge afrika-
nische Baumwollkultur der europäischen Kolonial-
mächte günstig beeinflussen dürfte.
Nach dem deutschen Beispiele hat sich jetzt
auch ein Baumwoll-Komitee in Rußland in
Verbindung und mit finanzieller Unterstützung
der russischen Regierung gebildet, das insbe-
sondere die Erweiterung und Verbesserung des
Baumwollanbaues in Turkestan und Transkaspien
bezweckt. Die Einführung des dortigen Baum-
wollbaues mit amerikanischer Saat datiert be-
kanntlich aus dem Jahre 1884. Damals betrug
die Anbaufläche 330 ha, im Jahre 1900 bereits
65 000 ha. Die Ernte 1907 wird auf 6 000 000
Pud, d. i. 384 000 Ballen zu 250 kg geschätzt.
Auf Grund der gegenüber Amerika billigeren
Arbeitskräfte und niedrigeren Bodenrente rechnet
das russische Baumwoll-Komitee damit, daß das
mittelasiatische Gebiet mit der Zeit vollständig
imstande sein wird, den Bedarf der in Rußland
laufenden 7 400 000 Spindeln zu decken und
somit Rußland von der Abhängigkeit vom ameri-
kanischen Baumwollmarkte zu befreien.
England und Frankreich wetteifern, ihre
Kolonien, bzw. die dort für den Baumwollban
geeigneten Gebiete durch Eisenbahnen zu er-
schlieben. Ein glänzendes Beispiel bietet Eng-
land, dessen Parlament im Mai d. Is. ohne
Debatte dem Bau einer 640 km langen Eisen-
bahn in Nordnigeria zugestimmt hat, um die
dortigen Gebiete, die ähnlich günstige Vorbe-
dingungen, wie unser Togo, besitzen, für eine
Baumwollkultur großen Stiles zu erschließen.
Zur Förderung des Eisenbahnbaues in
den deutschen Kolonien hat das Kolonial=
Wirtschaftliche Komitee wirtschaftliche Erkundungen
im südlichen, mittleren und nördlichen Deutsch-
Ostafrika anstellen lassen, deren Ergebnisse als
wirtschaftliche Grundlage für die Wahl der zu
bauenden Linien dienen sollen. Die Berichte
sind Mitte 1905 und im Juli d. Is. veröffent-
licht worden. Um die Weiterführung der seiner
Zeit vom Komitee trassierten und seit dem
27. Jannar 1907 im Betrieb befindlichen Togo-
Innenlandbahn von Palime nach dem viel
versprechenden Baumwollgebiet Atakpame, das
in diesem Jahre bereits die Führung der Baum-
wolle produzierenden Bezirke Togos übernommen
hat, bleibt das Komitee dauernd bemüht.
Die im Oktober abgeschlossene Reise des
Staatssekretärs des Reichs-Kolonialamtes,
Exz. Dernburg, nach Deutsch-Ostafrika, die
insbesondere der wirtschaftlichen Entwicklung und
der Eisenbahnfrage gewidmet war, brachte hin-
sichtlich der Baumwollkultur die erneute Fest-
stellung, daß die Aussichten dieser Kultur, nament-
lich bei künstlicher Bewässerung, günstig sind.
In dem am weitesten vorgeschrittenen Baum-