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treten, für ihn Verträge abzuschliessen, staatliche Unternehmungen
zu leiten haben u. dgl., das Staatsinteresse dominiert. Wer
diesen Unterschied ignoriert und in jeder Art von. amtlicher
Tätigkeit nur die Erfüllung einer Gehorsamspflicht erblickt, ver-
fällt in denselben Febler wie diejenigen, die „Regierung“ mit
„Vollziehung“ gleichsetzen.
EHRENBERG behauptet, dass Treue und Gehorsam sich direkt
widersprechen können ®; wenn die Ausführung eines Befehles
dem Interesse des Befehlenden zuwiderläuft, so mache die Treue
den Ungehorsam zur Pflicht, die Ausführung des Befehles würde
ein Treubruch sein; und umgekehrt könne die Treue den Voll-
zug einer Handlung verlangen, welche geradezu verboten ist.
Das Prinzip der Treue, absolut durchgeführt, sei also mit dem
P:ınzip der Disziplin unvereinbar. Allein abgesehen davon, dass
EHRENBERG ein Beispiel für einen solchen Konflikt zwischen
Treue und Gehorsam aus der von ihm behandelten Feudalzeit
nicht anzuführen vermag, ist im heutigen Beamtenrecht ein der-
artiger Widerstreit schon rein gedankenmässig ausgeschlossen.
Nur praeter voluntatem, nicht contra voluntatem reipublicae
greift ja das eigene Ermessen des Beamten Platz. Und wenn
der Staat einmal befohlen hat, dann hat er auch ein Interesse
daran, dass ihm gehorcht werde; denn er fährt offenbar besser
dabei, wenn auch seine unzweckmässigen Befehle befolgt werden,
als wenn die Sicherheit leidet, mit der er auf die Befolgung
seiner Befeble überhaupt rechnen kann. Eine Ausnahme von
diesem regelmässigen Verhältnis zwischen Willensvollstreckung
und Interessenwahrnehmung stellt nur das Institut der Minister-
verantwortlichkeit dar. Der Minister schuldet, solange er im
Amte bleibt, den Befehlen des Monarchen Gehorsam, aber er
bat jeden solchen Befehl, bevor er ihn vollzieht, vom Stand-
punkt des Staatsinteresses zu’ prüfen und wenn er ihn damit
° Die psychologische Richtigkeit dieser Behauptung soll hiemit
nicht bestritten werden; vgl. die Note sub 10).