50 Der Staat.
„Die Städte, wo die Gelehrten wohnen, sind in Sachsen auch diejenigen,
in welchen am meisten Wohlwollen und Einfachheit herrscht. Man sieht
sonst allenthalben die Litteratur als eine Sugabe zum Luxus an, in Deutsch-
land scheint sie ihn auszuschließen. Die Geschmacksrichtung, welche sie
einflößt, verleiht eine Art von Unschuld und Furchtsamkeit, welche Dorliebe
für das häusliche Leben hervorbringen. Micht daß schriftstellerische Eitelkeit
bei den Deutschen keinen ausgesprochenen Tharakter hätte; aber sie bemüht
sich nicht um Erfolge im gesellschaftlichen Leben. Der kleinste Schriftsteller
rechnet auf die Machwelt, und indem er sich nach seinem Wohlgefallen im
grenzenlosen Raume der Gedanken entfaltet, wird er von den Menschen
weniger gestoßen und erbittert sich weniger gegen sie.
„Die Männer der Wissenschaft und die der staatsmännischen Geschäfte
find in Sachsen zu weit voneinander getrennt, als daß sich daselbst eine
wirkliche öffentliche Meinung bilden könnte. Aus dieser Trennung ergibt
sich, daß die einen eine zu große Unwissenheit in den wirklich vorhandenen
Sachen haben, als daß sie irgend welchen Einfluß auf das Land ausüben
könnten; und daß die andern ihren Ruhm darein setzen, einen gelekrigen
Macchiavellismus zu zeigen"), welcher über erhabene Gefühle als über
NKindereien lacht und jenen sagen will, daß sie eigentlich gar nicht von dieser
Welt sind.“
Manches Wahre ist in diesem Urteil. Selbst in der neueren
Seit, als Sachsen 1851 eine neue Derfassung bekommen hatte,
wollen etliche bemerkt haben, daß das Interesse der Sachsen
für das öffentliche Leben ihres Staates kein reges wäre, und
erklären dies einerseits daraus, daß die so unglücklichen politischen
Ereignisse die Lust an der Beschäftigung mit dem Staatsleben
den Sachsen verleidet habe, anderseits daraus, daß das Dolk
die Derwaltung in so guten und tüchtigen Händen weiß, daß
es keinen Anlaß findet, sich selbst viel darum zu kümmern.
*) Soll wohl heißen: sie wollen, bei großer Gewandtheit und Tüchtig-
keit in Staatsgeschäften, die unumschränkte Macht der Fürsten über das
Dolk zur Geltung bringen.