Full text: Volkstümliches aus dem Königreich Sachsen auf der Thomasschule gesammelt. Zweites Heft. (2)

114 Volkstümliches aus dem Nachlasse von Rudolf Hildebrand. 
einmal fliegt aus dem Totenreiche der Drache daher, der 
an den Körpern der Bösen saugt. Er muß samt den Leibern 
für immer in die Unterwelt versinken. 
Nunmehr scheint der Inhalt des alten Liedes folgender: 
Die Götterbrücke ist von Surtr und den Seinen zer— 
brochen. „Wir wollen sie wieder aufbauen!“ so rufen die 
neuen Menschen der neuen Erde. „Womit wollen wir sie 
bauen?“ diese Frage erscheint in vielen Fassungen des Liedes. 
Die Antwort ist: Mit Gold, Silber und Edelstein, oder: 
Mit Gestein, mit Gebein (Elfenbein), mit rotem Goldelein 
oder ähnlich. Darin liegt die deutliche Erinnerung an die 
Regenbogenbrücke, die nach dem Mythus aus drei Farben 
stark gefügt ist. „Und dann — so schreitet der Gedanken— 
gang des Spiels fort — ziehens) wir alle durch, näm— 
lich durch das neue Brückenthor zu dem Himmelssaal, 
wo wir von den Friedensgöttern aufgenommen werden. 
Fern von uns liegt das Böse, das jetzt für immer in die 
Feuerhölle verdammt ist. 
In diesen mythischen Inhalt des Liedes mischt sich der 
spätere Volksglaube von dem Streit zwischen Engel und 
Teufel vor den Thoren des Paradieses. Am Sterbetage 
eines Menschen kämpfen sie um den Besitz der Seele. Unser 
Spiel sagt daher weiter: „Hüten wir uns, wenn wir einziehen. 
Der Teufel steht davor und will den letzten fangen!“?) Wieder 
altvolkstümlich. Denn auf den letzten hat er es auch sonst 
abgesehen (vgl. z. B. den Teufel in Salamanca),. Aber 
der Engel kämpft für die arme Seele. Die Spannung, wer 
sie erhalten wird, kommt im Spiel einmal dadurch zum 
Ausdruck, daß das Kind den Namen eines der Thorbildner 
*) Zieht alle durch!] heißt es sehr oft, statt kriecht. 
*“) Dieser kommt — nach dem Greizer Lied — in den Feuerteich, 
d. h. in die Feuerhölle. Sonst heißt es gewöhnlich, daß er mit 
Spießen und Stangen oder mit Ketten und Stangen gefangen wird. 
Das deutet natürlich ganz ebenso auf den Ort der Verdammnis hin. 
Solche Anderungen im Wortlaut sind häufig nur um des Reimes 
willen vorgenommen.
	        
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