III. Bundesrat. Art. 6. 199
den ganzen Vorrat an praktischen Erfahrungen und politischen Erkenntnis-
quellen verfügt, den die sämtlichen Regierungen der Einzelstaaten angesammelt
haben, abgesehen davon, daß er durch seine umfangreichen Verwaltungs-
befugnisse eine viel weitere Kompetenz hat als eine parlamentarische Ver-
sammlung. über diese beiden Vorzüge des Bundesrats vor Staatseinrich-
tungen, mit denen er im übrigen etwa in Ansehung seiner politischen
Bedeutung in Vergleich gebracht werden könnte, hat sich Fürst Bismarck
wie folgt geäußert; um den Vergleich mit einem Ministerium zu ziehen,
hat er in der Reichstagssitzung v. 5. Märg 1878, also zu einer Zeit, in
welcher schon mehrjährige Erfahrungen über den Bundesrat bestanden, bei-
läufig erklärt St. B. 378:
„Ich halte den Bundesrat für eine bessere Einrichtung als ein Reichs-
ministerium, und wenn er nicht bestände, so würde ich beantragen, ihn
einzuführen. Ich halte den Bundesrat für eine außerordentlich zweck-
mäßige Einrichtung, sie macht unsere Gesetzgebung leichter und besser als
ein Ministerium und unterstützt sie durch ein großes Maß politischer
Erfahrungen aller Einzelregierungen."
Den Vergleich mit dem Oberhaus hat Fürst Bismarck zugunsten des
Bundesrats in der Reichstagssitzung v. 19. April 1871 St.B. 298 gezogen:
„Der Bundesrat wiegt schwerer als ein gewöhnliches Erstes Haus,
weil er zugleich ein Staatenhaus im vollsten Sinne des Wortes ist, in
viel berechtigterem Sinne, als was man gewöhnlich Staatenhaus nennt,
was z. B. in der Erfurter Verfassung Staatenhaus genannt wurde. Dort
stimmte im Staatenhause nicht der Staat, sondern das Individuum ab,
und zwar nicht nach Instruktionen, sondern nach seiner Überzeugung.
So leicht wiegen die Stimmen im Bundesrate nicht. Da stimmt nicht
der Freiherr von Friesen (Führer der Stimmen Sachsens), sondern das
Königreich Sachsen stimmt durch ihn; nach seiner Instruktion gibt er
ein Votum ab, das sorgfältig destilliert ist aus all' den Kräften, die
zum öffentlichen Leben in Sachsen mitwirken. In dem Votum ist die
Diagonale aller der Kräfte enthalten, die in Sachsen tätig find, um das
Staatswesen zu bilden; es ist das Votum der Sächfischen Krone, modi-
fiziert durch die Einflüsse der Sächsischen Landesvertretung, vor welcher
das Sächsische Ministerium für die Vota, welche es im Bundesrat ab-
geben läßt, verantwortlich ist. Es ist also recht eigentlich das Votum
eines Staats, ein Votum in einem Staatenhaus.“
Wenn Fürst Bismarck hier den Bundesrat als „Staatenhaus“ be-
zeichnet hat, so ist dabei mehr an seine politische als an seine staatsrechtliche
Stellung gedacht. Tatsächlich haben die Bundesratsbevollmächtigten, wie
oben unter 1 5 S. 197 ausgeführt ist, die Aufgabe, die besonderen Interessen
der von ihnen vertretenen Einzelstaaten in der Reichsgesetzgebung und in der
Reichsverwaltung tunlichst zur Geltung zu bringen, und es liegt durchaus
im Sinne der Reichsverfassung, daß in dem Votum des einzelnen Staates
auch seine berechtigten Sonderinteressen zum Ausdruck kommen, damit —
um das vom Fürsten Bismarck gebrauchte Bild hier in etwas anderem Zu-
sammenhange anzuwenden — das Gesamtvotum des Bundesrats der
Diagonale aller der Kräfte und Interessen entspricht, die im Reiche wirksam
find. Fürst Bismarck wollte in der wiedergegebenen Außerung die politische
Bedeutung des Bundesrats darstellen und hat deshalb nur diese Seite seiner