Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

314 IV. Präfidium. Art. 14. 15. 
wonach der Reichshaushalts-Etat alljährlich durch Gesetz festgestellt werden 
muß. Die Tätigkeit des Bundesrats und Reichstags kann also schon aus 
diesem Grunde in keinem Jahre ganz entbehrt werden. 
Nach dem Wortlaut des Art. 13 kann der Bundesrat nur dann ohne 
den Reichstag berufen werden, wenn dies zur Vorbereitung von Arbeiten 
erforderlich ist, deren weitere Erledigung dem später einzuberufenden Reichstag, 
obliegt. Diese Bestimmung ist nach der Praxis gegenstandslos, denn schon 
seit langer Zeit ist die Geschäftslage des Bundesrats derart, daß seine An- 
wesenheit zur Vorbereitung der dem Reichstage zu machenden Vorlagen 
dauernd erforderlich ist. Seit 1888 hat keine förmliche Einberufung des 
Bundesrats mehr stattgefunden, weil seitdem der Bundesrat nicht aufgehört 
hat versammelt zu sein; vgl. Art. 12 II. Ein Widerspruch zu der Bestimmung 
des Art. 13 liegt in dieser Praxis ebensowenig wie in den durch mehrere 
Jahre fortgesetzten Vertagungen des Reichstags, die eine alljährliche Be- 
rufung des Reichstags ebenfalls erübrigen, weil im Sinne des Zweckes der 
Verfassungsbestimmung nicht die alljährliche Berufung, sondern nur der 
Umstand wesentlich ist, daß die gesetzgebenden Körperschaften in jedem Jahre 
versammelt sind; vgl. v. Seydel S. 168. 
Aus Art. 13 ergibt sich zugleich eine Begrenzung der Frist, binnen 
welcher nach Ablauf der Legislaturperiode Neuwahlen vorgenommen werden 
müssen. Auch in diesem Falle ist dafür zu sorgen, daß der Reichstag all- 
jährlich einberufen werden kann. Darauf weist mit Recht Laband 1 S. 296 
hin. Für den Fall der Auflösung des Reichstags ist die Frist für die 
Neuwahlen und die neue Berufung durch Art. 25 besonders bestimmt. 
Artikel 14. 
Die Berufung des Bundesrates muß erfolgen, sobald sie von einem 
Drittel der Stimmenzahl verlangt wird. 
Gegenüber dem faktisch bestehenden Zustande ist die Bestimmung des 
Art. 14 gegenstandslos wegen des bereits bei Art. 121II und Art. 13 hervor- 
gehobenen Umstandes, daß seit vielen Jahren der Bundesrat mit Rückficht 
auf seine Geschäftslage dauernd versammelt ist. Da aber dieser Zustand 
nur tatsächlich und nicht verfassungsmäßig besteht, so wird durch Art. 14 
ein schon durch seine Existenz bedeutungsvolles Minoritätsrecht begründet. 
Der Antrag von 20 Stimmen kann stets die Berufung des Bundesrats 
herbeiführen. Es könnte also gegen den Willen Preußens die Berufung 
des Bundesrats beantragt werden von Bayern, Sachsen, Württemberg, 
Baden und Hessen gemeinschaftlich, die zusammen über 20 Stimmen ver- 
fügen, oder von den übrigen kleineren Staaten, denen sogar noch eine 
Stimme fehlen kann. Die über ein Drittel der Stimmen verfügenden kleinsten 
Deutschen Staaten haben kaum den territorialen Umfang und die Einwohner- 
zahl einer größeren preußischen Provinz. 
Artikel 15. 
Der Vorsitz im Bundesrate und die Leitung der Geschäfte steht dem 
Reichskanzler zu, welcher vom Kaiser zu ernennen ist.
	        
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