Full text: Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erläuterungen.

XII. Reichsfinanzen. Art. 72. 657 
Kosten für die gesetzlich festgestellten Einrichtungen, nämlich für die 
Ausführung des gesetzlich festgestellten Programms der Entwicklung des 
Heeres und der Flotte wegen anderer als zwingender Gründe, die bei Er— 
laß des Gesetzes nicht vorausgesetzt werden konnten, ablehnen würde; vgl. 
die Erklärung des Staatssekretärs des Reichs-Marineamts v. Tirpitz in 
der Reichstagssitzung v. 27. März 1906 St. B. 2331C. Solche zwingenden 
Gründe sind selbst theoretisch kaum denkbar. Man könnte vielleicht an eine 
alle Erwartungen übersteigende Uberlastung des Etats denken, die sich aus 
abnorm schlechten Wirtschaftsjahren oder anderen außergewöhnlichen Er- 
eignissen ergibt. In solchen Fällen wird aber die Frage kaum praktisch 
werden, weil anzuehmen ist, daß dann die Verbündeten Regierungen, für 
die diese Gründe keine geringere Rolle spielen können, von der Anforderung 
der fraglichen Summen Abstand nehmen und in Ubereinstimmung mit dem 
Reichstag das Gesetz über die Friedenspräsenzstärke bez. das Flottengesetz 
durch Verlangsamung seiner Ausführung stillschweigend oder ausdrücklich 
in seinem programmatischen Teile außer Kraft setzen würden. Die ge- 
nannten Gesetze würden finnlos und überflüssig sein, wenn darin nicht das 
beiderseitige, die Verbündeten Regierungen wie den Reichstag bindende 
Versprechen läge, daß für den im Gesetz angegebenen Zeitraum, bez. bis 
zur Aufhebung oder Abänderung des Gesetzes diejenigen Tatsachen, die 
durch das Gesetz festgelegt sind, bei der Etatsberatung nicht mehr in Frage 
gestellt werden dürfen. In diesem Sinne hat z. B. der Abg. Gneist im konst. 
Reichstag (Sitzung v. 8. April 1867 St.B. 630) „die gesetzliche Fixierung 
einzelner spezieller Etats“ gerade als das Mittel bezeichnet, das geeignet 
sei, Konflikte zwischen Regierung und Volksvertretung zu verhindern, während 
er gleichzeitig das damals für die Armee angewendete System der gesetz- 
lichen Fixierung eines Pauschquantums, also der zahlenmäßigen Feststellung 
des ganzen ordentlichen Etats der Heeresverwaltung bekämpfte, weil dadurch 
die Mitarbeit der Volksvertretung völlig aufgehoben werde. 
Artikel 72. 
Über die Verwendung aller Einnahmen des Reichs ist durch den 
Reichskanzler dem Bundesrate und dem Reichstage zur Entlastung jährlich 
Rechnung zu legen. 
I. Die Organisation der Rechnungslegung. 
a) Der Rechnungshof für das Deutsche Reich. 
b) Der Gegenstand der Rechnungslegung. 
II. Die Entlastung. 
I. Die Organisation der Rechnungslegung. 
a) Der Rechnungshof für das Deutsche Reich. 
Nach Art. 72 ist die Rechnung durch den Reichskanzler dem Bundesrat 
und Reichstag zu legen. Diese beiden Korporationen sind aber ihrer ganzen 
Natur und Zusammensetzung nach sowie mit Rücksicht auf ihre anderen 
verfassungsmäßigen Aufgaben nicht dazu bestimmt, die enorme Detailarbeit 
zu leisten, die eine sachgemäße und genaue Rechnungskontrolle eines so 
Dambttsch, Deutsche Reichsverfassung. 42
	        
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