Römischer Kapitalismus. 95
unserer Tage befreit hat. Versetzen Sie sich mit dieser
Anschauung von Agrarverhältnissen in das alte Rom, so
erkennen Sie, daß diese kleinen Bauern schließlich in Ab-
hängigkeit kommen mußten von den Familien in der Stadt,
die reich genug waren, Vorschüsse zu geben. Die römischen
Legenden zeigen uns den römischen Patrizier immer wieder
nicht bloß als einen vornehmen Mann, sondern als einen
Mann, dem der Plebejer etwas schuldig ist. Der Patrizier-
stand ist durch einen ganz unabweislichen Wirtschaftsprozeß
Herrscher über die Plebs geworden.
Rom liegt vier Meilen vom Ausfluß der Tiber an der Stelle,
wohin damals noch die Seeschiffe gerade gelangen konnten.
Alle großen Handelsstädte liegen ja nicht unmittelbar am Meer,
nicht Hamburg, nicht Bremen, nicht Stettin, nicht London,
sondern immer so weit im Lande, daß die Schiffe von der
See noch hinkommen können. Rom ist der große Umschlags-
platz, das natürliche Emporium für ganz Mittelitalien.
Auf der Tiber konnten in kleinen Nachen die Sabiner bis
nach Rom kommen, um dort einzutauschen, was sie
brauchten. Rom ist — das hat Mommsen von Anfang
an mit Scharfblick erkannt, obgleich die Tradition dagegen
spricht und immer von Rom als reiner Landmacht spricht
— Rom ist in Wahrheit von Anfang an eine Handelsstadt
gewesen; Handel ist immer mit Kapital verbunden, und
mit diesem Kapital machten sich die kapitalistischen Familien
zu Herren der Bauernschaft. Warum ließ sich die Bauern-
schaft das gefallen? Warum griff sie nicht zum Schwert,
um ihre Freiheit zu verteidigen? Diese Wucherer waren
doch ihre Stammesgenossen? Die Antwort haben wir
bereits gegeben: weil die Wucherer gleichzeitig die Häupt-
linge, die Vorkämpfer, die ritterliche Kriegerschaft waren.
Es ist nicht eine rein kapitalistische Herrschaft, aber auch