Full text: Regierung und Volkswille.

172 Divide et impera. 
in den Fehler des nationalen Kampfes hinein zu reizen 
und zu verlocken. Eine richtige deutsche Politik muß dieser 
Versuchung widerstehen und statt dessen den Grundsatz 
„Divide et impera“ ins Auge fassen. Indem man darauf 
verzichtet, die Polen als Ganzes sowohl zu bekämpfen als 
auch zu gewinnen, muß man darauf ausgehen, Verhältnisse 
zu schaffen, die das Entstehen einer preußisch- polnischen 
Partei ermöglichen. Die Aussichten für die Bildung einer 
solchen Partei unter unseren Polen sind auch heute noch 
nicht schlecht. Es braucht nicht jedem Volke beschieden zu 
sein, daß es einen großen Nationalstaat bildet. Auch wir 
Deutsche haben ja dieses Ziel insofern nur teilweise erreicht, 
als ganz gewaltige Bruchteile unseres Volkstums, in Öster- 
reich und der Schweiz, außerhalb des Reichs bleiben müssen 
und vermutlich für alle Zeiten bleiben werden. Realpolitisch 
denkende Polen mögen sich darein finden, daß sie verschiedenen 
Staatswesen angehören, wenn sie nur innerhalb der fremden 
Staatswesen nicht in ihrer Nationalität und in ihrer Reli- 
gion gekränkt werden*). Unsere Polen haben nirgends ein 
geschlossenes Gebiet, sondern sind mit ihren vier Millionen 
auf vier verschiedene preußische Provinzen, unter etwa acht 
Millionen Deutschen, verteilt. Entstünde ein polnisches 
Nationalreich und suchte auch die preußischen Polen an 
sich zu ziehen, so wäre es geographisch gezwungen, auch 
viele Millionen Deutsche mit hinein zu nehmen; mit anderen 
Worten: die Herstellung eines solchen polnischen National- 
reichs ist nur denkbar unter der Voraussetzung einer völligen 
Zerstörung des deutschen Reichs. Daß darauf keine Aus- 
sicht ist, sehen auch sehr viele Polen ein. Sie sehen es 
  
*) In Osterreich hat dieser Gedanke die praktische Probe bereits 
bestanden. Vergleiche den höchst instruktiven Aufsatz von E. Zwey- 
brück, Zur österreichischen Polenpolitik. Preuß. Jahrb. Bd. 140 S. 115.
	        
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