Full text: Regierung und Volkswille.

30 Referendum in der Schweiz. 
des Beamtentums im ganzen ein schweres Hemmnis ist. 
Das ist so klar, daß man sich endlich entschloß, ein Pensions- 
gesetz einzubringen. Aber im Referendum wurde es mit 
großer Majorität verworfen. Der Bürger und Bauer sieht 
es schlechterdings nicht ein, warum ein Beamter oder ein 
Offizier eine Pension erhalten solle, da ihm doch auch 
niemand eine solche gibt. Auch mir ist in Deutschland in 
Wahlversammlungen diese Auffassung öfter entgegengehalten 
worden. In Vertretungskörpern kann man sich mit solchen 
kurzsichtigen Selbsttäuschungen auseinandersetzen. Man kann 
auf die Einwendungen eingehen, ihnen eventuell durch Kon- 
zessionen entgegenkommen oder sie in Kompromissen über- 
winden. Mit dem Volk kann man nicht verhandeln, son- 
dern muß instinktiv suchen, die Vorlagen so zu gestalten, 
daß sie keinen Anstoß erregen. Im Jahre 1882 wurde in 
der Schweiz auch ein Epidemiegesetz mit großer Majorität 
verworfen. Denn mit solchen Vorbeugungsgesetzen sind 
mancherlei lästige Verbote und Einschränkungen für den 
einzelnen verbunden. Die Gefahr der Epidemie ist fern; 
die Schikane der Vorbeugungen ist nahe. Weiter sieht die 
Masse der Bürger nicht. Besonders schmerzlich war es für 
die Schweizer Patrioten, als im Jahre 1900 ein vortreffliches 
Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, das nach dem Muster 
der deutschen Sozialgesetzgebung ausgearbeitet war, im 
Referendum abgelehnt wurde. Erst im Jahre 1912 ist es 
dann dem erneuten Anlauf gelungen, ein solches Gesetz 
durchzubringen, auch nur mit 287565 Stimmen gegen 
241 416 bei 63% Beteiligung. Die Mehrheit bildeten also 
von den Berechtigten nur etwa 35 %. 
Das Referendum wirkt konservativ. Das Volk wünscht 
keine Veränderung, wenn ihm nicht das Übel etwa schon 
auf der Haut brennt. Eben deshalb ist das Referendum
	        
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