Full text: Regierung und Volkswille.

Stellung des 
deutschen 
Reichstages. 
60 Macht des deutschen Reichstags. 
dieser Kern war im Verhältnis zur Masse Italiens zu klein, 
und so ist man auch dort in den Parlamentarismus 
hinübergeglitten. Davon kann in Deutschland nicht die 
Rede sein. Der deutsche Reichstag übt entsprechend seinem 
ganz anderen Ursprung nur Einfluß auf die Regierung. 
Einfluß kann größer oder geringer sein. Suchen wir ihn 
auf dem Wege der Feststellung von Tatsachen abzumessen. 
Daß der Reichstag bei der Ausarbeitung und Gestaltung 
der Gesetze sehr eingreifend mitwirkt, daß er auch eigene 
Ideen durchsetzt, daß er wichtige Vorlagen der Regierung 
ablehnt und dadurch dauernd verhindert, das liegt alles zu- 
tage und braucht nicht besonders belegt zu werden. Aber 
sein Einfluß geht noch weiter. Der Reichskanzler Fürst 
Bülow mußte zurücktreten, als ihm der Reichstag die 
Erbschaftesteuer ablehnte. 
Diejenigen, die glauben, daß wir auf dem Wege sind, 
eine parlamentarische Regierung mit der Zeit in Deutschland 
einzuführen, haben gesagt, der Sturz des Fürsten Bülow 
sei die erste Etappe hierzu gewesen. Denn hier habe der 
Reichstag den Kanzler gezwungen, abzugehen und das sei 
ja das Wesen der parlamentarischen Regierung, daß das Haupt 
der Beamtenregierung sich nicht behaupten könne gegen den 
Willen des Reichstages. Das ist aber doch noch etwas 
anderes, als wenn die Regierung aus dem Willen des Reichs- 
tags hervorgeht. Es dürfte zutreffen, daß Bülow schließlich 
deswegen, weil er die Erbschaftssteuer nicht bewilligt bekam, 
hat zurücktreten müssen. Falsch ist aber die Vorstellung, 
daß es hier zum erstenmal gewesen sei, daß ein Kanzler 
dem Reichstag habe weichen müssen. Von Caprivi und 
Hohenlohe will ich nicht reden; da liegen die Dinge nicht 
ganz so klar. Aber das Entscheidende ist, daß es gar keiner 
Frage mehr unterliegen kann, daß auch Bismarck im Jahre
	        
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