82 Der Zukunftsstaat.
sonst annimmt, daß gerade der Kapitalismus mit seinem
Lohn für Fleiß und Intelligenz die Vervollkommnung der
Technik und die ungeheure Steigerung der Produktion
hervorgerufen habe, soll in Zukunft ohne solchen Lohn für
den Einzelnen und bei viel geringerer Arbeit der Masse die
Produktion noch viel mehr steigen. Unterdrücken wir unsere
Zweifel und hören, was der Reichtum für Bildungsfolgen haben
wird. Alle Menschen werden der gleichen, höchsten Bildung
teilhaftig werden. Alle Volksschulen also werden in Gymnasien
verwandelt und dann strömen die Massen, Männlein wie
Fräulein in die Universitäten. Was würden die Auditorien
da voll werden! Wo aber ist gesagt, daß die Menschen,
wenn sie erst gebildet genug sind, keiner Organisation und
keiner Führer mehr bedürfen? Sollte Mehring wirklich
den Genossen haben sagen wollen, daß sie ihrer heutigen
Führer nur bedürften, weil sie selber noch zu dumm seien?
Ein erfahrener Mann dürfte sagen, daß ganz umgekehrt
die Gebildeten erst recht der Organisation und der Führer
bedürfen, um einen einheitlichen Willen herzustellen, weil
jeder einzelne sich zur Selbständigkeit berufen wähnt. Die
Gebildeten des Zukunftstaats mögen vielleicht anders sein —
aber für unsere Frage handelt es sich ja gar nicht um den Zu-
kunftsstaat, sondern um die Gegenwart, um die Frage, ob
in den nächsten zehn, zwanzig, dreißig Jahren die Führer der
Sozialdemokratie für Kompromisse zu haben sein werden
oder nicht. Für diese Übergangszeit, wie wir sie Mehring
zu Gefallen einmal nennen wollen, ehe wir die gymnasiale
und akademische Massenbildung durchgeführt haben, bedarf
es ja auch nach ihm der Organisation und also auch der
Führer, und ob diese Führer ihre Macht benutzen werden,
die Revolution zu machen und einen allgemeinen Umsturz
herbeizuführen auf die Gefahr hin, nicht den bestehenden