124 $ 8. Die „gesetzmäßige Verwaltung‘.
gleichgestellt, um auf diese Weise Eingriffe in Freiheit und Eigen-
tum der Bürger zu rechtfertigen.” Darin liegt ein Notbehelf.
Läßt man derartige Erlasse auch nach Einführung der Ver-
fassungsurkunden als Gesetze gelten, trotzdem ihnen die Zustim-
mung der Volksvertretung fehlt, so müssen sie um so mehr mit
der anderen Garantie rechtsstaatlicher Gesetze ausgestattet sein,
nämlich mit der Eigenschaft der Allgemeinverbindlichkeit; dies setzt
weiter voraus, daß sie ordnungsgemäß sind verkündigt worden.°®
Die soeben entwickelten Grundsätze erleiden eine Durch-
brechung nur dort, wo ausnahmsweise ein Gewohnheitsrecht die
Grundlage für Eingriffe der Behörde bildet.°e Unter welchen
Voraussetzungen ein solches Gewohnheitsrecht im Verfassungs-
staate anerkannt wird, haben die Erörterungen in $5 darzulegen
versucht.
” Man vgl. z. B. die Königl. Kabinettsordre vom 4. Dezember 1831,
die für Preußen die noch heute maßgebenden Rechtsgrundsätze über
die Entschädigungspflicht des Staates bei rechtmäßiger Handhabung
der öffentlichen Gewalt aufgestellt hat (Anschütz, im Verwaltungs-
archiv V S. 76).
8 Urt. des RG. in Zivils. v. 24. Jan. 1885 (Entsch. Bd. 13, S. 215). —
Besonders interessant ist, wie die Vorschrift des Allg. Preuß. Landrechts II
17810 (oben S. 6, Anmerk. 8) vondem ‚„Amteder Polizei‘ rechtsstaatlich um-
gedeutet worden ist. Ursprünglich steckte in ihr wahrscheinlich bloß
eine theoretische Definition des Begriffs Polizei. Dann begann die Praxis
den Lehrsatz in einen Rechtssatz umzudeuten und schließlich entdeckte
sie in ihm ein „‚Gesetz‘‘, das die Polizei zu Eingriffen in Freiheit und
Eigentum der Bürger ermächtigt. Vgl. dazu Schultzenstein, im Ver-
waltungsrecht Bd. XVIII, S. 548. „Es hat lange Zeiten gegeben, in denen
der $ 10 vollständig vergessen war oder doch praktisch für ganz bedeutungs-
los gehalten wurde. Erst seit der Einrichtung der Verwaltungsgerichtsbar-
keit wurde auf ihn zurückgegangen, man kann fast sagen, wurde er wieder
entdeckt und als positiver Rechtssatz aufgefaßt, sein Inhalt festgestellt
und ihm eine unmittelbar praktische, bindende Anwendbarkeit in weiterem
Umfange beigelegt.“
® Die Verfassungsurkunde für das Königreich Sachsen v. 4. Sep-
tember 1831 bestimmt $ 27: „Die Freiheit der Personen und die Ge-
bahrung mit dem Eigenthume sind keiner Beschränkung unterworfen, als
welche Gesetz und Recht vorschreiben.‘ Der Ausdruck ‚Recht‘ deckt
das Gewohnheitsrecht. So wird in Sachsen insbesondere die Grundlage
für die Polizeigewalt durch ein Gewohnheitsrecht gebildet. Vgl. dazu
Stier-Somlo, im Verwaltungsarchiv XIX 98ff. und dort zitierter Schrift-
steller.