Full text: Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts.

$ 8. Die „gesetzmäßige Verwaltung‘. 125 
II. Die Vorschrift, derzufolge staatliche Eingriffe in Freiheit und 
Eigentum der Bürger nur auf Grund eines unter Mitwirkung der 
Volksvertretung beschlossenen Gesetzes zulässigsind, begründet eine 
politische Garantie zu Gunsten der Individualrechte.!° Aber sie 
erschöpft das Programm des Rechtsstaats nicht. Von nicht ge- 
ringerer Bedeutung ist die weitere rechtsstaatliche Forderung nach 
einem für alle Untertanen gleichen Recht.!! Die staatlichen Ein- 
griffe sollen nach einem für Alle gleichen Maßstabe erfolgen. Die 
Gesetzgebung hat diese Rechtsgleichheit der Bürger durch Auf- 
stellung allgemein gültiger Regeln zu verwirklichen unternommen, 
die genau die Voraussetzungen bezeichnen, unter denen der ver- 
waltende Staat Ansprüche der Bürger zu befriedigen hat und 
sich Eingriffe in Freiheit und Eigentum erlauben darf." 
  
10 An diesem Punkte tritt der Gegensatz zwischen der Monarchie 
und der Demokratie zu Tage. In der Monarchie besteht die Aufgabe der 
Volksvertretung in einer Beschränkung der monarchischen Gewalt. 
In der Demokratie übt die Volksvertretung oder die Aktivbürgerschaft 
die oberste Staatsgewalt aus; es besteht keine Gewalt neben ihr, mit der 
sie das Gesetz zu vereinbaren und die sie auf diese Weise zu beschränken 
hätte. Sie bildet deshalb kein Gegengewicht gegen absolutistische Nei- 
gungen; denn sie selbst besitzt die Möglichkeit, absolutistisch aufzutreten 
und Freiheit und Eigentum der Bürger zu bedrohen. Infolgedessen müssen 
für die Individualrechte Garantien besonderer Art geschaffen werden. Sie 
bestehen einmal in dem Vorrang der Verfassungsgesetzgebung vor der 
einfachen Gesetzgebung und ferner in einer Verfassungsgerichtsbarkeit 
(oberster Gerichtshof der nordamerikanischen Union, schweizerisches 
Bundesgericht), deren Aufgabe darin besteht, die in der Verfassung 
garantierten Grundrechte der Bürger gegen Eingriffe des Gesetzgebers 
zu schützen. Schweiz. Bundesverfassung v. 29. Mai 1874 Art. 113, Ziff. 3. 
(Das Bundesgericht urteilt über „Beschwerden betreffend Verletzung 
verfassungsmäßiger Rechte der Bürger“.) Gustav Vogt, Die Organi- 
sation der Bundesrechtspflege in den Vereinigten Staaten von Amerika 
(Zeitschr. f. Schweiz. Recht, n. F, IX S. 566). Bryce, The American 
commonwealth, I, cap. 23. Theodor Weiß, Art. „Bundesgericht“, in 
Reichesbergs Handwörterbuch der Schweiz. Volkswirtschaft, I S. 653. 
W.Burckhardt, Kommentar d. Schweiz. Bundesverfassung 1904, S. 856 ff. 
11 Anschütz, Die Verfassungsurkunde für den Preußischen Staat, 
18. 108 ff. 
12 Daraus darf man aber nicht mit v. Seydel, Bayer. Staatsrecht 
II S. 316ff. und Anschütz, Begriff der gesetzgebenden Gewalt S. 168ff. 
und Encyklopädie der Rechtswissenschaft II S. 594-595 den Schluß 
ziehen, jede Rechtsvorschrift betreffe die Freiheit der Person und des
	        
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